Rede von André Dosé Swiss Economic Forum Thun, 08.05.2003
08. Mai 2003
« Fliegen heisst vertrauen »
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie alle kennen dieses Gefühl:
auf Ihrem Flug ändert sich plötzlich etwas. Ein Geräusch fällt weg oder tönt anders, ein neues kommt hinzu, die Lage des Flugzeuges wechselt, eine Turbulenz rüttelt unangenehm an Ihrem Sitz. Nur im Cockpit wissen sie, was genau passiert.
In der Kabine entsteht oft ein Gefühl des Ausgeliefertseins, die leise Ohnmacht, hier und jetzt nicht über sein Schicksal bestimmen zu können. Fliegen ist an sich nichts für Menschen. Sie sind dafür nicht geschaffen.Wer es trotzdem tut – und es sind bei SWISS pro Monat immerhin eine Million Menschen – der braucht Vertrauen.
Der Passagier vertraut der Fluggesellschaft sein Leben an. Fliegen ist somit etwas sehr Emotionales, es ist weit mehr, als der simple Transport von A nach B durch die Luft.
Ich stelle diese Überlegung an den Anfang meines Referates, weil sie vielleicht einen Teil dessen erklärt, was gegenwärtig in der Schweiz mit SWISS passiert. SWISS ist ein Transportmittel nicht nur für Passagiere, sondern auch für Emotionen, für Botschaften und für Befindlichkeiten.
Sag SWISS und ein Mikrofon ist Dir gewiss!
Seit dem ersten Tag sitzen wir bei SWISS im Glashaus. Jeder Schritt, den wir machen, und vor allem auch jeder, den wir nicht machen, kommt unverzüglich unter das mediale Mikroskop, wird seziert und analysiert.Das war abzusehen, für mich ist das in Ordnung. SWISS ist zu einem Drittel durch die öffentliche Hand finanziert worden, da darf der Steuerzahler wissen, was Sache ist. Es ist natürlich schon sehr gewöhnungsbedürftig, dass mir der Radiowecker um fünf Uhr als erstes mit meinem Namen guten Tag sagt, und dass Dosé – vor allem sonntags – an jedem Zeitungskasten mit dicken Buchstaben auf dem Plakat steht.
Misstrauen, Pessimismus, Besserwisserei, Hohn, Spott, persönliche Verunglimpfung begleiten mich und uns täglich. Ich sage es Ihnen offen, auch wenn ich eine dicke Haut habe, es geht nicht spurlos an mir vorbei!
SWISS ist zur Projektionsfläche für die Befindlichkeit einer ganzen Nation geworden. Hier zeigt sich eine schweizerische Eigenschaft in seltener Ausprägung, dieser Drang zur Selbstzerstörung, dieses Kaputtreden einer Idee, eines Projektes. „Sie kommen mir vor wie die Expo'02“, sagte mir kürzlich jemand.
Dahinter vermute ich mehr als nur die Enttäuschung über den zerstörten Mythos Swissair. Hier kumulieren sich die Reaktionen auf eine Vielzahl von Ereignissen und Entwicklungen, welche dem Empfinden der Menschen in diesem Land zutiefst zuwider sind. Die Verunsicherung setzte bereits beim Attentat auf die Schweizer Touristengruppe in Luxor ein. Hier wuchs die Erkenntnis, dass der Schweizer Pass keine Versicherung gegen die Unbill dieser Welt ist. Der Absturz von SR 111 verstärkte das Ohnmachtsgefühl.
Es sind aber eine ganze Reihe weiterer Faktoren auf ganz unterschiedlichen Ebenen, welche diese hochemotionale, diffuse Abwehrhaltung geschaffen haben: AIDS und neuerdings SARS als weltweite lebensbedrohende Epidemien, das Terrorinferno 9/11 in New York, die raffgierigen Manager, die geplatzte Seifenblase der New Economy, der Börsencrash, Krieg als neue Form der Diplomatie. Das ethische Koordinatensystem ist an der Schwelle des neuen Jahrtausends aus den Fugen geraten. Die Wirtschaftskrise trübt den Blick in die Zukunft und nährt, unterstützt durch die allgemeine Zivilisationsmüdigkeit, eine breite Verweigerungshaltung.
Die Medien verstärken solche Trends massiv. Ohne Perspektive, aus dem Tag heraus, zum Teil verantwortungslos und unausgewogen. Das Prinzip von "check & balance" gilt häufig nicht. Die Boulevardisierung der Medien hat neue Höhepunkte erreicht.
Das grelle Licht der Boulevardscheinwerfer greift sich willkürlich Themen heraus und schafft ein Klima der Beliebigkeit. Alles und jeder darf in Frage gestellt werden, ist zum Abschuss frei.Beispiel heute: „Im Swiss-Kader krachts gewaltig“ titelt der Tages Anzeiger. Gestern hat der ausscheidende Netzwerkchef Matthias Hanke seine Mitarbeiter intern schriftlich informiert, dass SWISS einen markanten Umbau des Netzwerkes plane. Im Mail nennt er das einen „radical change“. Er sei als bisheriger Architekt deshalb für diesen Neubau ungeeignet. Daraus macht der Tages Anzeiger die Meldung „im Top-Kader tobt ein Streit über den künftigen Kurs der SWISS und Hanke habe einen „radikalen Wechsel“ verlangt. Also ziemlich genau das Gegenteil von dem, was im E-Mail steht.
Natürlich beschwört der Journalist gleich wieder die alten Feindbilder „Swissair gegen Crossair Mitarbeiter herauf“.
Diese beiden Firmen existieren aber seit zwei Jahren nicht mehr. Der Luftverkehr hat sich in dieser Zeit ganz massiv verändert. Um diese Herausforderung zu meistern ist weder ein Swissair- noch ein Crossair- Etikett geeignet. Wir benötigen Topleute mit „SWISS“ – Perspektiven.Aus dem internen E-Mail wird ein nicht existierender Krach herbeigeschrieben, der uns am heutigen Tag nicht nur wieder gewaltige Ressourcen bindet:
Das Resultat ist auch hier Verunsicherung und schwindendes Vertrauen. Fliegen heisst vertrauen! „Das Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Ist es zerstört, kommt es so bald nicht zurück“, sagte Fürst Otto von Bismarck.Er war nicht im Fluggeschäft tätig, aber seine Erkenntnis kann ich bestätigen. Wie will ich diese zarte Pflanze hegen?
In der Wirtschaft gilt wie in allen andern Bereichen:
„Glaubwürdig handeln“
„Glaubwürdig sein“
„Keine Taschenspielertricks“.
SWISS muss Glaubwürdigkeit und Autorität ausstrahlen. Und das gelingt ihr, weil sie ein guter Brand, eine gute Marke ist. Das beweist unsere sehr gute Reputation im Ausland. In der Schweiz ist das schwieriger, wie ich eben beschrieben habe.
Als Pilot weiss ich, dass heftige Bewegungen am Steuerknüppel nichts nützen. Wir korrigieren entschlossen und mit Bedacht.
Was müssen wir erreichen:
Sicherheit war und ist oberstes Gebot
Pünktliche Flüge
Weniger Annullierungen
Das Produkt noch weiter verbessern
Immer gleich lautende Aussagen zur Strategie
Klare und regelmässige Kommunikation
Dieser letzte Punkt ist allerdings nicht ganz einfach einzuhalten. Zu oft werden die Medien mit wahren und falschen Informationen gespiesen. Leider auch manchmal von unseren eigenen Mitarbeitern. Für ihre meist aus eigennützigen Motiven getriebenen Indiskretionen finden sie viel zu bereitwillige Medien vor, die sich für solche Zwecke einspannen lassen.
Im Ausland stösst diese breite ablehnende Haltung gegenüber SWISS auf Unverständnis. Könnte man sich vorstellen, dass die Italiener ihre Alitalia, dass die Franzosen ihre Air France oder die Engländer ihre British Airways auf diese Weise angreifen?
Nun, mit Nationalstolz ist heute keine Fluggesellschaft mehr zum Erfolg zu führen, aber: ohne eben auch nicht! Das Vertrauen des ganzen Landes ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass SWISS Erfolg haben kann.
Die Botschaft wird zum Glück langsam zur Kenntnis genommen: die Luftfahrtindustrie steht vor dem Kollaps, die IATA Fluggesellschaften werden dieses Jahr zum dritten Mal hintereinander über 12 Milliarden Dollar Verlust einfliegen! Die Gründe kennen Sie, Konjunkturkrise, Irakkrieg, die Lungenepidemie SARS.
SWISS hat als Start Up Unternehmen zusätzliche Schwierigkeiten. Ein Beispiel: wir haben keine jahrelange Erfolgsgeschichte vorzuweisen, im Gegenteil, wir tragen die Hypothek der gescheiterten Swissair täglich mit uns herum. Das hilft beim schaffen von Vertrauen, beim beschaffen von Betriebskrediten zum Beispiel nicht unbedingt.
Soll der freie Markt entscheiden, ob es es uns gelingt oder nicht? Oder steht an erster Stelle das Bedürfnis des Landes nach eigenen direkten interkontinentalen Verbindungen als unverzichtbare Voraussetzung für die exportorientierte Schweizer Wirtschaft?
Der Bundesrat hat letzte Woche die Haltung der Landesregierung klar formuliert: die SWISS soll die direkte Anbindung an das weltweite Luftverkehrsnetz garantieren. Wohlverstanden als privatwirtschaftliche eigenständige Unternehmung wie wir das immer schon gemacht haben. Nach neuem Bundesgeld haben wir nie gerufen! Der Staat, so der Bundesrat, will aber für optimale Rahmenbedingungen für die Luftfahrt besorgt sein
Dieses klare Bekenntnis der Landesregierung wurde bereits nach dem Scheitern der Swissair formuliert, auch das Parlament und die Wirtschaft haben es abgegeben, es führte zum Start von SWISS im Dezember 2001.
Es war deshalb wichtig, dass der Bundesrat jetzt, im Trubel der Wirtschaftskrise, im Wahljahr 2003, nochmals ganz klar an die ursprüngliche Idee erinnerte.
Der Weg zum Vertrauen aller, der Weg zum Erfolg von SWISS ist indes noch lang und steinig.
Das Pesonal macht unter den äusserst schwierigen Verhältnissen einen hervorragenden Job.
Ich kann Ihnen versichern: der grosse Teil der 9000 Mitarbeitenden steht nach wie vor hinter ihrer SWISS. Dies habe ich gestern an den Personalversammlungen in Zürich und Basel gespürt. Das Verständnis für die abtrünnigen Piloten ist klein. Wir setzen auch alles daran, dieses leidige Problem endlich zu lösen und diese Piloten wieder ins Boot zu bringen.
Ich bin angetreten, um die SWISS zum Erfolg zu führen. Auch wenn uns der Wind stark ins Gesicht bläst: mein Team und ich machen weiter und geben unser Bestes!
Was können Sie, verehrte Damen und Herren für uns, für Ihre SWISS tun?
Fliegen Sie SWISS!
Viele von Ihnen tun es und das freut uns!
Falls Sie der Meinung sind, es brauche uns, und wir hätten das Vertrauen verdient, dann geben Sie diese Meinung weiter.
Ich danke Ihnen!