Wer heute von Suzan Opperman in der ersten Klasse auf einem SWISS Flug bedient wird, weiss nicht, dass sie, die das Frühstück reicht, früher als Ballerina über die grossen Bühnen tanzte. Um die Geschichte der zierlichen Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt und den grossen, ausdrucksstarken blauen Augen zu erzählen, muss man früh beginnen. Nicht in Zürich, von wo aus sie heute in die ganze Welt fliegt, sondern in Südafrika, wo die heute 30-Jährige ihre ersten Lebensjahre verbrachte.
An dem Tag, an dem Suzan ihre Liebe zum Ballett entdeckt, ist sie vier Jahre alt. «Meine Mutter hat mich zu einer Aufführung von dem Nussknacker mitgenommen», erzählt sie. Als die 4-Jährige die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne sieht, die beinahe über den Boden schweben und perfekt synchron sind, ist es um sie geschehen. «Ab diesem Moment wollte unbedingt sofort mit Ballett anfangen.» Auch heute, mehr als 25 Jahre später, ist der Funke in ihren Augen zu sehen, wenn sie von der Sportart erzählt, die sie rund ein Vierteljahrhundert begleiten soll.
Bis zu sieben Stunden Training am Tag
Wenn die junge Suzan tanzte, war nicht nur ihre Mutter begeistert, deren Blick von elterlichem Stolz verschleiert sein dürfte. Auch Suzans Trainer erkannten schnell, dass das Mädchen begabt war. Über die Jahre wird das Training immer intensiver. Im Alter von sieben Jahren zieht Suzan mit ihrer Familie in eine Stadt ausserhalb von London. Mit 13 wird sie in die Royal Ballett School in London aufgenommen und trainiert dort teilweise bis zu sieben Stunden am Tag.
«Zu dieser Zeit habe ich nur das Ballett gesehen, ich konnte mir für mich nichts Anderes im Leben vorstellen», sagt Suzan. Doch schon damals habe sie sich immer gesagt, dass sie dann mit dem Tanzen aufhören würde, wenn sie nicht mehr glücklich wäre. «Aber zu dieser Zeit hatte ich Scheuklappen auf den Augen. Ich erlaubte mir keinen Blick nach links oder rechts zu werfen», sagt sie und hält sich die Hände exemplarisch auf die Seiten ihres Gesichts.
Mit 19 Jahren bewirbt sich Suzan an der Wiener Staatsoper. Zusammen mit rund 100 anderen jungen Frauen wird sie zu einem Vortanzen eingeladen. «Wir hatten alle eine grosse Nummer auf die Brust geklebt. Alle halbe Stunde wurden wieder einige Mädchen nach Hause geschickt.» Suzan wird auch nach vier Stunden noch nicht verabschiedet. Einige Tage nach dem Vortanzen erhält sie die Zusage für ihren Traumjob. «Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich an die Mail mit der Zusage denke», erzählt die 30-Jährige.
Über die Jahre wächst ihre Leidenschaft
Als Mitglied des Cops de Ballett tanzt Suzan nun in fast jeder Vorstellung in Wien. «Meine Leidenschaft für das Tanzen hat sich über die Jahre nur noch gesteigert», sagt sie. Ihre erste Saison sei von so vielen Eindrücken geprägt gewesen. «Mir wurde bewusst, dass ich für meine Leidenschaft bezahlt werde. Das ist etwas Besonderes.»
Lange hielt das Wiener Märchen aber nicht an. Einen Tag vor Suzans zweiter Eröffnungssaison verletzt sie sich. «Darauf folgte eine Operation am Knie. Die Ärzte waren unsicher, ob ich das Knie jemals wieder voll belasten könnte als Tänzerin.» Für Suzan waren diese Einschätzungen ein Schock: «Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht das letzte Mal aufgetreten bin, ohne es zu wissen», erzählt sie. Auf die Knieverletzung folgten zehn Monate Rehabilitation und hartes Training. Doch es lohnt sich für die Ballerina.
«Rückblickend waren das die zehn besten Monate meines Lebens. Ich habe viel gelernt und Respekt vor meinem Körper gewonnen.» Mit dem Abfallen ihrer Scheuklappen sagt Suzan, sei eine Last von ihr genommen worden. «Man nimmt einen schlechten Trainingstag nicht mehr so schwer. Ich bin nicht nur eine Ballerina. Ich bin Suzan. Das war der erste Moment, in dem ich dachte, es gibt mehr als Ballett für mich.»
"Mir wurde bewusst, dass ich für meine Leidenschaft bezahlt werde. Das ist etwas Besonderes."
ehemalige Balletttänzerin
Suzans Knieverletzung verheilt wieder vollständig. Nach der Reha kehrt sie zurück auf die grosse Bühne. «Die ersten Jahre nach dem Unfall hatte ich so grosse Dankbarkeitsgefühle, dass ich wieder ohne Schmerzen tanzen durfte.»
Mit 28 Jahren in die Tänzerinnenpension
Jahre vergehen und Suzan tanzt weiter. Saison für Saison tanzt sie neue Interpretationen sowie klassische Stücke. Dann kommt die Covid Pandemie und die Ballerina ist sich plötzlich nicht mehr sicher, wie fest das Feuer für das Ballett noch brennt.
Sie absolviert eine Yoga-Ausbildung, aber auch das reichte ihr nicht. «Ich hatte das Gefühl, dass ich raus muss, um etwas zu erleben.» 2022 bekommt Suzan das Gefühl, dass sich etwas ändern musste. «Es war Zeit zuzugeben, dass ich aufhören möchte.» Suzan ist zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt. Nicht mehr jung für eine Ballerina, aber eigentlich noch zu jung für den Rücktritt. «Ich habe immer gemacht, was von mir erwartet wurde. Doch da merkte ich, dass meine Seele etwas anderes wollte.»
Auf Instagram wird ihr eine Werbung von einer Fluggesellschaft ausgespielt. Diese sucht neue Board Crew Member. «Ich war schon immer begeistert von der Aviatik. Der Gedanken zu fliegen, hat mich sehr gereizt», sagt Suzan. Ein Freund rät der Ballerina dazu, sich auch bei der SWISS zu bewerben. «Ich dachte mir, wenn ich den Job bekomme, dann muss es so sein.» Suzan wird von beiden Fluggesellschaften eine Stelle angeboten. «Ich habe mich für die SWISS entschieden, weil ich dort mehr Menschlichkeit gespürt habe», sagt sie.
Die Gemeinsamkeiten von Fliegen und Tanzen
Ihren Job bei der Wiener Staatsoper hatte sie zu dieser Zeit noch nicht gekündigt. «Ich konnte Nächte lang nicht schlafen, weil ich so nervös war. Ich hatte Angst, nach der Kündigung Reue zu empfinden.» Doch es kam anders. «Nach meiner Kündigung fühlte es sich an, als wäre eine riesige Last von meinen Schultern gefallen.»
Während ihre Kolleginnen und Kollegen weitertanzen, sitzt Suzan im Klassenraum und lernt, wie man Feuer an Board löscht, einen starken Bloody Mary mixt oder Passagiere bei einem Zwischenfall aus dem Flugzeug evakuiert.
Fliegen und Tanzen sind zwei grundunterschiedliche Disziplinen. Trotzdem findet die gebürtige Südafrikanerin einige Gemeinsamkeiten. «Egal ob ich Teil der Board Crew oder einer von 24 Schwänen bin, ich achte immer auf meine Kolleginnen und Kollegen. Tanzen und Fliegen erfordern viel Teamarbeit.» Die Boardküche erinnert sie zudem an den Backstagebereich einer Aufführung. «Bei beiden hat man wenig Platz, alles ist durchgetaktet und vorgegeben. Ich mag Regeln und die gibt es sowohl beim Fliegen als auch beim Tanzen.» Suzan ist ein sogenanntes First Class Crew Member. «Der Gang, der durch die erste Klasse führt, ist meine Bühne, wie beim Tanzen. Aber hier bin ich näher am Publikum». Ich darf meine Persönlichkeit und meinen Humor zeigen, das freut mich sehr.» Doch trotz der vielen Gemeinsamkeiten macht Suzan keinen Hehl daraus, dass sich viel geändert hat. «Das war für mich kein Jobwechsel, sondern ein Wechsel des Lebensstils.»
Sie will sich für einen gesunden Tanzsport einsetzen
Seit eineinhalb Jahren fliegt Suzan mit der SWISS, seit Mai dieses Jahres in der ersten Klasse. Ein Ende ist für sie nicht in Sicht. «Ich könnte mir gut vorstellen, in Zukunft in Teilzeit zu fliegen und mir nebenbei selbst etwas aufzubauen.» Die 30-Jährige hat dafür bereits auch klare Vorstellungen. «Ich studiere seit diesem Jahr im Master in Dance Sciences. Ich möchte gerne Tänzerinnen und Tänzer unterstützen und ihnen beibringen, wie sie ihre Passion ausüben können, ohne dabei psychisch und physisch krank zu werden.» Sie sei stets mit anderen ehemaligen Tänzern im Austausch. «Es ist mir wichtig, dass zukünftige Talente ihre Karriere auf einem gesunden Fundament aufbauen können.»
Text: Anja Suter
Fotos: Petra Sittig und Ashley Taylor
Publiziert: 19. November 2024