Manchmal staunt Daniel Bernhardt auch nach 26 Jahren Hollywood noch, wie sehr ihn Männer für seine Arbeit bewundern. Bei einer Feier fragte ihn ein Banker über seine Filmrollen aus. «Sie waren in ‹John Wick›?», fragte er ungläubig. «Und Sie besitzen eine Bank», antwortete Bernhardt. «Aber Sie waren in ‹John Wick›!», rief der Banker bewundernd, als sei der Besitz einer Bank eine Lappalie verglichen mit dem Privileg, sich mit Keanu Reeves vor der Kamera zu prügeln. Kampfsport, sagt Bernhardt, sei seine grosse Leidenschaft gewesen, seit er als 15-Jähriger die ersten Moves gelernt habe. «Es war irgendetwas Zusammengewürfeltes aus Kung-Fu und Kickboxen. Es passte zu meinem Körper. Ich trainierte neben der Lehre jede freie Minute.». Als der 1,90 Meter grosse Berner mit den hohen Wangenknochen und dem durchtrainierten Körper erste Anfragen für Modeljobs erhielt, sagte er sofort zu und zog nach Paris: «Es war die Zeit der Supermodels, auch der männlichen. Wir waren etwa 25, die den grossen Teil der Aufträge bekamen. Ich gehörte nicht zu den ersten vier oder fünf, aber zu den restlichen zwanzig.».
Bei einem improvisierten Kampf mit Jean-Claude Van Damme vor der Kamera von Starfotograf Bruce Weber für Versace Jeans wusste Daniel Bernhardt plötzlich, was er als Nächstes tun würde: «Ich war noch gut im Modelgeschäft, aber das hätte nicht mehr lang gedauert. Ich hatte etwas Geld auf der Seite. Das Video hatte mehr Spass gemacht als fast alles in den letzten Jahren. Vielleicht lag ja eine Karriere als Filmkampfsportler drin.» 1993 zog Bernhardt nach Hollywood, sehr neugierig, aber ohne Illusionen. Er nahm Schauspielunterricht und trainierte täglich stundenlang. Zwei Jahre später erhielt er eine Hauptrolle in «Bloodsports 2» und seinen ersten kleinen Hauch von Ruhm. «Bloodsports» ist unter Actionfans bis heute eine legendäre Serie. Er fühlte sich in Los Angeles «wie ein Kind im Sandkasten». Ende der 1990er-Jahre brach der Markt für Low-Budget-Action-Filme ein. Das Kabelfernsehen war der grosse Abräumer. Bernhardt hatte Glück. 24 Episoden «Mortal Kombat» nach dem gleichnamigen Videospiel, dann eine Rolle in «Matrix Reloaded», «für die sich alle in der Stadt beworben hatten, die über 1,80 Meter gross waren und eine Ahnung von Kampfsport hatten».
Am Tag nach der bejubelten Premiere brachte seine langjährige Partnerin und heutige Ehefrau Lisa Stothard ihre Tochter Bella zur Welt, «das war viel wichtiger als alles andere». Seither reiht sich Film an Film. Die prominenten Namen von Filmpartnern wie Brad Pitt oder Jason Statham schüchterten ihn nie ein. «Vielleicht liegt es daran, dass man so viel physischen Kontakt miteinander hat. Ich erlebe sie als sehr normale, sehr disziplinierte Leute.» Kann man aus jedem Schauspieler einen Ac tionhelden machen? Bernhardt lacht. «Ich könnte dich in zwei Wochen gut aussehen lassen, indem ich mit der Kamera von vorn nah an dich rangehe. Dann kommt die Kamera von hinten und ein Stunt-Double macht deine Sprünge für dich. Aber das Publikum ist sehr smart geworden. Es kennt alle Tricks. Deswegen wollen Stars möglichst viele Stunts selber machen. Für seine Kampfszene mit Charlize Theron in «Atomic Blonde» gewann Bernhardt 2018 einen Taurus Award, in seiner Branche so kostbar wie ein Oscar. Nach einer Rolle 2019 in der Filmserie «Escape Plan» mit Sylvester Stallone sah man Daniel Bernhardt in diesem Jahr in in der HBO-Erfolgsserie «Barry» für einmal ganz anders – als alten, dicklich gewordenen Taekwondo-Kämpfer, der sich mässig erfolgreich gegen einen Eindringling zur Wehr setzt.
Die umwerfend komische Folge wurde mit einem Emmy ausgezeichnet. Der bisher letzte Film, in dem er mitspielte, war «Fast and Furious: Hobbs and Shaw» mit Jason Statham, Dwayne Johnson und Helen Mirren in den Hauptrollen. Der Film, der im Juli 2019 anlief, spielte bis anhin 760 Millionen Dollar ein. Denkt er manchmal daran, in die Schweiz zurückzukehren? «Ich wüsste nicht, wie ich von dort aus zu Angeboten kommen könnte», sagt Daniel Bernhardt, «und da die Actionhelden in den Filmen immer älter werden und weiterhin Feinde brauchen, arbeite ich vermutlich noch eine Weile weiter.» Er vermisst allerdings seine Familie und seine Freunde in der alten Heimat und fliegt so oft wie möglich hin. «Ich bin sehr dankbar, dass ich dort aufgewachsen bin», sagt Bernhardt. «In meinem Beruf verlieren viele den Halt. Die Schweiz hat mich geerdet.»
Information:
Der Berner mit der abgeschlossenen Sanitärzeichnerlehre zählte zu den international erfolgreichsten männlichen Models, bevor er 1993 nach Los Angeles zog. Er wollte kein Hollywoodstar werden, sondern herausfinden, ob seine Leidenschaft für Kampfsport im Filmgeschäft für einen Lebensunterhalt ausreichen würde. Heute entwirft und koordiniert der gefragte Actionschauspieler auch Choreografien für Kampfszenen und inszeniert diese. Zu den Stars, mit denen er sich vor der Kamera anlegte, gehören Hugh Jackman, Margot Robbie, Charlize Theron, Chuck Norris, Bruce Willis, Jason Statham und immer wieder sein langjähriger Trainingspartner Keanu Reeves.
Text: Beatrice Schlag
Photos: Reto Guntli