Der Lokalzug fährt entlang des Biwasees Richtung Takashima. Beim Bahnhof Omi-Takashima warten die beiden mit ihrem Auto, denn der kleine 90-Seelen-Weiler Tomisaka, wo sie wohnen, liegt rund 7 Kilometer entfernt. Regina und Shunichi haben hier 1984 ein altes Bauernhaus gekauft und alles stilvoll renoviert. Seither arbeiten sie auf dem Land und gestalten – jeder in seinem Atelier – ausdrucksstarke Kunstgegenstände aus Keramik. Dass sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können, verdanken sie dem Standort Japan, denn die Japaner lieben Gefässe aus Keramik, und Kyoto gilt als Hochburg der Töpferei.
Im Haus duftet es nach Reis. Regina führt – bevor sie zu Tisch bittet – durch die Räume, zeigt ihr Atelier und jenes ihres Mannes. Reginas Atelier ist voll von Gegenständen aus Ton und Arbeitsmaterial. Für ihre Arbeiten kauft sie ein Gemisch aus Ton und Porzellan und verarbeitet diese Masse zu Gefässen. Was macht Keramik zur Kunst? «Es gibt in Japan keine strengen Unterschiede zwischen Kunst und Kunsthandwerk. Das erlebe ich als sehr befreiend», antwortet sie. Wie ihr Mann fertigt auch sie vorwiegend Gebrauchskeramik an. «Das Gefäss ist der Mittelpunkt meiner Arbeit. Auch eine leere Schale ist schön, da sie sich selber genügt und einen eigenen Platz – gleich einer Skulptur – einnehmen darf.» Regina hatte nie die Absicht, einen bestehenden Keramikstil zu kopieren, lässt sich aber inspirieren und in der Folge vom eigenen Gespür leiten. Die Verflechtung von alten mit neuen Traditionen prägt ihre Werke. Für ihre Arbeit erhält die Schweizerin in Japan Anerkennung: Sie stellt ihre Kunst in Kyoto, Nagoya, Hiroshima, Tokyo und anderen Städten aus.
“Das Gefäss ist der Mittelpunkt meiner Arbeit.”
Geplant war ein Kurzaufenthalt
Als die gelernte Pflegefachfrau aus Obfelden in der Schweiz 1979 nach Japan reiste, tat sie dies aus Interesse an der Keramik. Dort angekommen, musste sie zuerst Japanisch lernen – kein leichtes Unterfangen. Aber dann, nach nur zwei Wochen, begegnete sie dem Keramikkünstler Shunichi Maekawa, der ihre Leidenschaft teilte und sie unterstützte. «Er stellte mich Töpfern aus der Region vor. Zudem lernte ich, an der Drehscheibe zu arbeiten. Ich bin Autodidaktin und habe es – dank Shu nichi – gewagt, mich selbstständig zu machen. Aus unserer Zusammenarbeit ergab sich eine tiefe Verbundenheit und wir beschlossen, zusammenzubleiben.»
Inmitten der Natur zu leben inspiriert das Paar. In den nahen Wäl dern tanken beide Kraft für ihre Arbeit, die ihnen ein bescheidenes, aber gutes Leben ermöglicht. Der grosse japanische Keramikkünstler Koyama Fujio sagte einst: «Die besten Stücke japanischer Keramik bleiben immer ein Echo der Natur.» Angesichts der Möglichkeit, in dieser Stille der Natur beheimatet zu sein und die Fülle des Da-seins auszuschöpfen, erübrigt sich die Frage nach Heimweh. Regina besucht ihre Familie in der Schweiz zwar regelmässig. Doch nach 40 Jahren in Japan ist sie selber fast zu einer Japanerin geworden. Sie bittet zu Tisch und sagt: «Hai, douzou», was so viel heisst wie: Nehmt bitte Platz. Vor dem Essen faltet sie die Hände vor dem Gesicht und verneigt sich kurz. Mit ihrem Mann spricht sie Japanisch. «Totemo oi shii», sagt er. Sehr gut, heisst das. Sie antwortet: «Hai, sou desu ne», ja, es ist wirklich gut. Und natürlich ist alles auf selbst getöpfertem Geschirr angerichtet. Jeder Teller, jedes Gefäss ein Unikat.
Information:
Als Regina Maekawa-Altherr 1979 nach Japan reiste, plante sie einen sechsmonatigen Aufenthalt. Doch dann begegnete sie ihrem zukünftigen Mann und blieb im Land der aufgehenden Sonne. Seit 36 Jahren wohnt sie mit ihm in den Bergen – hoch über dem Biwasee – und gestaltet Gebrauchskeramik, vor allem Gefässe. realtherr-works.com
Text: Trudi von Fellenberg-Bitzi
Photos: Martin Holtkamp