Während zwei Männer auf das glimmende Moos in ihren Händen pusten, klettert ein schlaksiger Junge in die oberen Äste eines Baumes und lässt einen Bienenstock an einem Seil herunter. Rauch umhüllt die Gestalten. Nachdem immer mehr Bienen aus dem ausgehöhlten Stamm gekrochen sind, greifen die Imker hinein. Sie tragen keine Schutzkleidung, keine Handschuhe. So ist das bei den Ogiek. Die Honigernte gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten dieses Jäger- und Sammlervolkes, eines der letzten Ostafrikas.
Wir stehen mitten im Eburu Forest, einem neu gegründeten Schutzgebiet im Zentrum Kenias, und schlecken uns die Finger ab. Aromatisch schmeckt der Honig, der jetzt in einer Tasche aus Ziegenhaut verstaut wird. Mehr als 3000 Bienenstöcke haben die Ogiek im Bergwald verteilt. Mitten unter den Affen, Büffeln und Leoparden.
In den vergangenen Jahrzehnten hatte Kenia ein gigantisches Bevölkerungswachstum zu verzeichnen. Im Land der Safaris wird es enger. Für die Tiere, die Menschen, die Rohstoffe. Viele Menschen heizen und kochen nach wie vor mit Holz und schlagen immer grössere Löcher in die Wälder. In Eburu soll Energie künftig mit Hilfe von Geothermie gewonnen werden. Man sieht die heissen Quellen schon am Eingang des Parks dampfen und blubbern. Viele Einheimische kochen inzwischen mit Dampf. Der Wald soll nur noch den Tieren gehören. Wer in Eburu wandert, unterstützt das Renaturierungsprojekt durch seinen Parkeintritt.
«Man hat dann die Pfade fast für sich allein.»
Guide
Viel bekannter als die neu angelegten Trails in der Eburu National Reserve sind die gut markierten Pfade im 70 Kilometer entfernten Longonot National Park. Man marschiert dort am Fuss eines Vulkans zwischen Zebras und Antilopen, ehe es steil bergauf geht zum Krater und zum 2776 Meter hohen Gipfel. Es ist, als würden wir auf dem Rand einer Pflanzschale spazieren: auf beiden Seiten steile Abgründe, der Kraterboden überwuchert von dichtem Wald. Weit reichen die Blicke über das Rift Valley. Gebirgszüge und grasbedeckte Hochebenen sehen wir, Blumenfarmen und den Lake Naivasha. Nur ein einziges Paar begegnet uns beim Abstieg vom Krater. In der Regenzeit zu reisen, hat viele Vorteile. Findet auch Juma, unser Begleiter. «Man hat dann die Pfade fast für sich allein», sagt er.
Der 45-Jährige gehört zu den besten Guides Kenias. Er spricht sieben Sprachen, kennt sich in der Biologie seines Landes bestens aus. Schon als Kind sind ihm auf dem langen Fussweg zur Schule jeden Tag wilde Tiere begegnet. So ist das in Kenia. Die Wildtiere gehören einfach dazu. Auf der Crescent-Halbinsel im Lake Naivasha kann man ihnen besonders nahe kommen. Ihre Hälse recken die Giraffen direkt neben uns in die Kronen der Akazien. «Ihr dürft nur nie von hinten an sie herantreten», sagt Juma. Ohne ihn wäre dieser Spaziergang für uns eine höchst gefährliche Angelegenheit.
Weiter geht es per Propellermaschine ins berühmte Masai-Mara-Schutzgebiet im Südwesten des Landes. Little Governors’ heisst unser Safaricamp. Die Anlage ist komplett solarbetrieben und für ihre Nachhaltigkeit mehrfach ausgezeichnet worden. Das luxuriöse Ökocamp liegt hinter einer Flussbiegung an einem sumpfigen Wasserloch fernab der Zivilisation. Vor unseren Augen waten Büffel und Elefanten durch den Schlamm, Wasservögel staksen herum. Es ist ein ständiges Rascheln, Rupfen, Knurren und Gurren. Nur eine Böschung trennt uns von den Tieren. Und die auch nicht wirklich. Warzenschweine wuseln zwischen den Zelten herum. Zum Glück gibt es Mitarbeiter, die sich mit der Fauna bestens auskennen. Zwei Drittel der Angestellten sind Massai aus den umliegenden Dörfern. Sie wissen, wie man reagieren muss, falls ein Elefant durch das Camp spaziert.
Jetzt in der Nebensaison sind nicht allzu viele Jeeps unterwegs. Es gibt kein grosses Gedränge um Löwen, Geparde oder Nashörner. Und der Regen trommelt nur nachts auf unsere Zelte. Also holpern wir über eine Savanne, die jeden Tag grüner wird. Oliver, unser Fahrer und Guide, scheint genau zu wissen, wo er suchen muss, um uns gähnende Löwen, kämpfende Flusspferde oder Herden von Elefanten zu zeigen.
Und dann fahren wir in das nächstgelegene Dorf, nach Mara Rianda. Die Lehmhütten sind umgeben von einem dornigen Zaun aus Akazienzweigen. Das kleine Besucherprogramm hat die Massai-Community selbst ausgearbeitet, die Gebühren kommen der Schule zugute. Zur Begrüssung wird für uns getanzt. Wir lassen uns vom Rausch der Farben und Muster mitreissen. Und dann springen die jungen Krieger um die Wette. Die Arme angelegt, kerzengerade, immer höher. «Jetzt seid ihr dran!», sagt der Guide. Also hüpfen wir. So hoch wir können.
Am nächsten Morgen, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, heben wir dann wirklich ab. Ein Brenner faucht Heissluft in den riesigen Ballon über uns. Dann wird es still und wir schweben. Mal knapp über dem Boden, mal hoch über den Baumkronen. Unter uns windet sich der Fluss, in dessen Schlamm sich die Büffel und Nilpferde suhlen. In unserem Korb gleiten wir geräuschlos über die weite Landschaft der Masai Mara. Unbemerkt. Die Elefanten fressen einfach ungestört weiter. So soll es sein.
Text: Gero Günther
Fotos: Peter Neusse