Zur Eröffnung der Ausstellung über die Geschichte und Neugestaltung des Dizengoff-Platzes sind gut 50 Gästegekommen –Architekturfreaks und -studenten, Urlauber und ältere Einheimische, die ihr Leben mit und im Bauhaus verbracht haben. Es gibt Reden, Salzmandeln und israelischen Chardonnay. Mittendrin: Micha Gross, Gründer und Leiter des Bauhaus Center Tel Aviv. Er scheint jeden zweiten Besucher zu kennen, begrüsst mal auf Hebräisch, mal auf Englisch oder Schweizerdeutsch.
«Nach langem Kampf wurde der Dizengoff Circle von späteren Bausünden befreit und in seine ursprüngliche Form zurückversetzt», erklärt er. «Das war wichtig, denn der Platz ist das Zentrum der Weissen Stadt und eine Ikone der Bauhausarchitektur.» Er muss es wissen, gilt er doch weltweit als Experte des Baustils.
Zwischen Zürich und Israel
Dabei war der 60-jährige Schweizer zunächst in eine ganz andere Richtung gestartet. Micha Gross hat in Zürich Psychologie studiert und mit einem Doktorat in seinem Spezialgebiet Schlaf- und Traum-forschung am Technion in Haifa abgeschlossen. «Diese Disziplin wurde damals nur an wenigen Orten gelehrt. Haifa war einer davon», erklärt er. Dort lernt er seine zukünftige Frau Shlomit kennen. Das Paar heiratet, zieht nach Zürich. Micha wird wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni und eröffnet ein privates Schlaflabor. Aber Shlomit lebt sich nicht ein: Es ist ihr zu kalt, zu geordnet, zu wenig spontan. «Ich wollte immer zurück nach Israel», sagt sie. Dank seiner Kontakte aus der Unizeit kann Micha auch in Tel Aviv auf seinem Gebiet arbeiten. Wobei die Stadt vor 25 Jahren noch nicht war, was sie heute ist: attraktiv, aufstrebend, kultiviert und teuer. «Es gab kaum Kaffee, private Bäckereien waren unbekannt, man ass im ganzen Land das sogenannte Einheitsbrot. Es standen zwei Joghurt- und drei Käsesorten zu Wahl. Ich kam immer mit Koffern voller Esswaren aus der Schweiz zurück.»
Ein Hobby wird Beruf
Architektonisch interessant war Tel Aviv allerdings schon damals: «Hier stehen noch rund 4000 Bauhaus-häuser», erzählt Micha Gross. «Es ist die weltweit grösste Ansammlung von Gebäuden dieser Stilrichtung. Ich habe mich immer für Architektur interessiert und fand das faszinierend.» Als 1998 seine Tochter auf die Welt kommt und seine als Fremdenführerin tätige Ehefrau in der Nähe des Babys bleiben möchte, erfindet er die Bauhausspaziergänge. «Wir haben ganz klein angefangen und nach und nach unser Angebot erweitert.»
In Israel scherte sich früher keiner um Architektur, man wusste wenig darüber. «Als wir im Jahr 2000 das Bauhaus Center Tel Aviv gründeten, hielten uns alle für verrückt», erinnert sich Micha Gross. Trotzdem hat er mit seinen Führungen Erfolg – ganze drei Monate lang, dann kommt die Intifada und die Touristen bleiben weg. Die erste grosse Krise dauert knapp drei Jahre, weitere folgen: «Es gab immer wieder Kriege, den letzten vor vier Jahren – das war wieder ein grosser Einbruch.»
Das Bauhaus lebt
Heute läuft das Unternehmen gut, das Bauhaus Center beschäftigt sieben Mitarbeitende, Micha Gross ist weltweit ein gefragter Redner. Er fährt regelmässig nach Zürich, lebt aber gerne in Israel. «Ich fühle mich hier freier als in der Schweiz», sagt er, «in diesem noch sehr jungen Land hat man mehr Möglichkeiten, das Leben ist offener – das gefällt mir.» Zwar fehlen ihm manchmal die Zuverlässigkeit und Beständigkeit der Schweizer, aber unter dem Strich fällt die Bilanz positiv aus – Micha ist in Israel an-gekommen. «Sein Hebräisch ist perfekt», bestätigt Shlomit, «nur mit den Kindern spricht er noch Schweizerdeutsch.»
Information:
Das Bauhaus Center ist Tel Avivs einzige Anlaufstelle für Menschen, die sich für diesen Baustil interessieren. Micha Gross bietet klassische geführte Touren durch die Weisse Stadt, aber auch individuelle Führungen an. Alternative: Mit einem der in acht Sprachen erhältlichen Audio Guides kann man alleine losziehen. Das Center ist zudem ein Fundus für originelle Souvenirs: Verkauft werden Objekte, die israelische Designer im Geiste des Bauhauses entworfen haben, und eigene Kreationen. bauhaus-center.com
Text: Patricia Engelhorn
Photos: Sivan Askayo