Das Giessen einer Kuhglocke ist ein Handwerk, das ebenso viel Kraft wie Feingefühl erfordert. Seit dem Jahr 1730 vereint die Giesserei Berger im Emmental genau diese Eigenschaften in Vollendung und gibt das Wissen und Können rund um das traditionelle Schweizer Schlaginstrument in der Familie weiter. Alles beginnt mit Sand und Förmli, denn es gibt keinen Rohling, in den man die Bronze einfach giessen könnte. Die Form muss für jede Glocke einzeln hergestellt werden. Dafür wird Sand genutzt – und zwar ein ganz besonderer. Der dunkle Natursand besteht aus Ton, Quarz und Wasser. Die genaue Rezeptur ist ein gut gehütetes Familiengeheimnis, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. In eine runde Stahlform wird ein Modell der Glocke platziert und die Zwischenräume werden komplett mit Sand aufgefüllt. Auch der Lätsch (Bügel) für die Riemenhalterung wird in diesem Schritt mit in den Sand eingebettet. Eine Angelegenheit, die Präzision erfordert: Der Sand darf nicht zu fest, aber auch nicht zu locker gestampft werden. Mit Hilfe einer Wasserwaage wird geklopft und gerichtet, bis es genau passt. «Jedes Detail muss von Anfang an stimmen», erklärt uns Fabian. «Sonst klingt die Glocke am Ende nicht gut.»
Die Form
Die Stahlform ist nun komplett mit Sand aufgefüllt – das Modell darin nicht mehr zu sehen. Jetzt werden die Kanäle für den Guss der Kuhglocke gestochen – rein nach Gefühl. Woher René weiss, wo und wie tief die Kanäle sein müssen? «Das bringen die 39 Jahre Erfahrung mit sich», lächelt er und sticht weiter in den Sand. Seine Arbeit entscheidet darüber, ob der Guss ein Erfolg wird: Zu wenige Kanäle würden verhindern, dass sich die Gussform später gleichmässig mit der flüssigen Bronze füllt. Aber auch die Entlüftungskanäle müssen passen, damit die Luft beim Guss entweichen kann und keine Löcher zurückbleiben.
Danach kommen wir zum kreativen Teil der Herstellung: Die Stahlform wird geöffnet und die obere Hälfte vorsichtig abgenommen. Das Modell kommt zum Vorschein. Es hat seinen Abdruck im Sand hinterlassen: die äussere Glockenwand. Diese kann nun beschriftet und verziert werden. Über 2500 Zeichen und Buchstaben liegen bereit, manche davon über 200 Jahre alt. Jedes Motiv wird einzeln von Hand in den Sand gedrückt. Jetzt sind wir dran: Ob ein Edelweiss, eines der beliebtesten Dekorationselemente, ein Wappen oder Buchstaben – wir dürfen nach Herzenslust gestalten. Wobei René und Fabian unsere zittrigen Abdrücke immer wieder mal nachbessern müssen. So ein Guss ist schliesslich für die Ewigkeit, da will man keine Fehler machen.
Bevor die beiden Hälften wieder zusammengesetzt werden – diesmal ohne Modell, dafür mit Luft dazwischen –, wird eine Lösung, die sogenannte Schlichte, aufgetragen, damit der Sand auch beim Giessen in seiner Form bleibt. «Jetzt feiern wir Hochzeit», grinst René. «So nennen wir das Zusammensetzen der beiden Hälften.» Der Rahmen wird mit Klammern geschlossen, damit er dem Prozedere standhält. Uns wird klar, warum es Hochzeit heisst ...
Der Guss
Die 25 Kilo schwere Form wird nun zum Giessen aufgestellt. René und Fabian tragen Schutzkleidung und sehen in Schürze, Handschuhen und silbernen Schutzgamaschen aus wie Mondwanderer. Doch in der Giesserei erinnert jetzt alles eher an die Sonne: 4 Kilo Bronze, 1200 Grad Celsius. Und was so aufregend anfängt, ist innerhalb weniger Sekunden auch schon wieder vorbei: Wie glühende Lava rinnt die Bronze aus dem kleinen Gusstopf durch die zuvor angelegten Kanäle in die Form. Jetzt heisst es 20 Minuten warten, bis auf die zuvor erlebte Hochzeit die Geburt der Glocke folgt. Eine spannende Angelegenheit. Ist der Guss gelungen? Ist alles so, wie wir uns das vorgestellt haben? Die Form wird geöffnet, die soeben gegossene Glocke vom gröbsten Sand befreit und einer ersten Kontrolle unterzogen. Sieht alles gut aus! Die Gusskanäle und die Luftpfeifen werden abgeschlagen und am gleichen Tag wieder eingeschmolzen. Auch der überschüssige Sand wird zur Wiederverwendung aufbereitet. Es gibt kaum Abfall in der Giesserei, der nicht wieder genutzt wird.
Der Feinschliff
In der Sandstrahlkabine wird die Glocke gründlich gereinigt, bis die hellbeige Oberfläche zum Vorschein kommt. Für die Zusammensetzung des Strahlmittels gilt dasselbe wie für die Formsandmischung: ein Geheimnis der Giesserei Berger. Den Feinschliff bekommt das edle Teil dann im wahrsten Sinne des Wortes beim Dreher. Als Erstes werden die Schriften und die Wappen oder Logos geschliffen, damit diese ihren Glanz erhalten. Dann fügt der Dreher mit viel Geschick und Erfahrung die charakteristischen Streifen auf der Glocke hinzu. Ein wahrer Kraftakt, bei dem viele Späne fliegen und der die bis zu 12 Kilo schwere Glocke um etwa 200 Gramm leichter macht. Jetzt noch polieren, den Klöppel passend anbringen – er muss an die untere Kante der Glocke anschlagen – und den Stahlbügel mit Farbe gegen Rost versiegeln.
An den Originalen, die später um den Kuhhals hängen, wird zusätzlich noch ein Riemen befestigt.20 bis 30 Glocken werden pro Tag so hergestellt. Es gibt sie in verschiedenen Durchmessern, 5 bis 36 Zentimeter, und Klangfarben – von G (ganz hell) über H (hell) und M (Mittel) bis zu B (Bass). Gerade abfallende Glocken mit einer dünnen Wand erzeugen einen eher dunklen, oben schmale und unten weitere Glocken mit einer dicken Wand einen hellen Ton. Warum diese Einteilung so wichtig ist, weiss René: «Nur wenn verschiedene Glocken in einer Herde zum Einsatz kommen, wird der Alpaufzug zu Musik in unseren Ohren. Bauern sammeln sich daher sozusagen im Laufe der Jahre ein ganzes Glockenorchester zusammen. Und neben dem schönen Klang sind die Glocken für die Besitzer der Kühe auch ein Zeichen, dass alles in Ordnung ist. Solange es angenehm läutet, geht es den Kühen gut.» Unsere heute gegossene Glocke ist eine 20H – ein Unikat, das nicht nur schön aussieht, sondern auch richtig gut klingt.
Information
Kuhglocken sind längst nicht mehr nur für Kühe. Sie eignen sich auch bestens als Geschenk, Dekoration oder Mitbringsel – ein kleines, typisches Stück Schweiz zum Mitbringen. Die Giesserei Berger verkauft die Glocken im Shop vor Ort und online. Jede Glocke wird individuell nach den Wünschen des Kunden angefertigt und in die ganze Welt versendet, zum Beispiel nach Russland, Australien, Kanada und in die USA. Wer gerne selbst Hand anlegen möchte, kann dies bei den angebotenen Glockenseminaren tun. Dabei kann jeder seine persönliche Glocke unter fachkundiger Anleitung im Giessereiatelier selbst giessen.