In der Werft Wollishofen herrscht reger Betrieb; das historische Dampfschiff «Stadt Rapperswil» wird für die erste Fahrt der Saison vorbereitet. Mittendrin mit einem wachsamen Auge auf das Geschehen und einem anerkennenden Wort für jedes Crewmitglied steht Chefkapitän Pascal Wieders. Wir begleiten ihn heute auf der grossen Rundfahrt über den ganzen See von Zürich nach Rapperswil und wieder zurück. Wieders sieht nicht aus, wie man sich einen typischen Seemann vor-stellt, doch sobald er zu erzählen beginnt, merkt man, dass er mit Leib und Seele Schiffskapitän ist. Er teilt seine Begeisterung für die Schifffahrt gerne und erzählt mit Enthusiasmus von seinem Beruf auf dem Wasser, der im Binnenland Schweiz doch eher exotisch ist.
«Ein Dampfschiff zu manövrieren ist eine Herausforderung.»
Chefkapitän
Auf einem Schiffsrundgang gehen wir über das Deck, wo gerade die Festbeflaggung zur Feier des Tages angebracht wird, und erklimmen den Steuerstand über eine steile Leiter. Das schöne hölzerne Steuerrad in der alten Kabine sei tatsächlich nur noch Dekoration, erklärt Wieders. «Die Dampfmaschine wird aus dem Maschinenraum heraus gesteuert. Deshalb ist das Sprachrohr hier extrem wichtig.» Er zeigt auf ein glänzendes Rohr, das an ein Blechblasinstrument erinnert und oben offen ist. «Über dieses Rohr findet die ganze Kommunikation statt: Ich rufe meine Kommandos in den Maschinenraum runter, und die Maschinisten führen sie aus, ohne nach draussen zu sehen. Da muss man einander wirklich gut kennen und ein eingespieltes Team sein! Ich bin sozusagen die Augen, und der Maschinist die Hände.»
Bevor wir in See stechen, trommelt Wieders die gesamte Mannschaft für ein kurzes Briefing zusammen, um die wichtigsten Punkte durchzugehen. Dann begibt sich jeder auf seinen Posten, er selbst steigt wieder hoch in den Steuer-stand. «Bereit?!», ruft er übers Sprachrohr in den Maschinenraum runter und holt auch das Okay der Heckwache ein. «Zurück!», gibt er schliesslich das Kommando – die Maschine setzt sich langsam in Bewegung und wir fahren in den noch etwas grauen Vormittag hinaus. Ein Lächeln macht sich auf Wieders Gesicht breit: «Das ist der schönste Moment des Tages!»
Mit einem engen Turn geht’s aus der Werft hinaus und wir fahren zügig Richtung Zürich. «Wir machen eine Steuerbordlandung am Bürkliplatz», erklärt Wieders. Dort werden wir von einer wartenden Menschenmenge begrüsst; treue Fans und Sonntagsausflügler. Wieders lächelt und hebt grüssend die Hand. Die Matrosen vertäuen die Seile und die Passagiere steigen ein. Weiter geht die Fahrt dem schönen Seeufer entlang. Es weht ein noch frühlingshaft frischer Wind.
Wir legen regelmässig am Ufer an und es steigen Passagiere zu. Jede Anlegestelle ist anders von Wind, Strömungen und allfälligen Untiefen her. «Das Manövrieren eines Dampfers mit dem Seitenradantrieb ist äusserst anspruchsvoll. Es gibt ein einziges Ruderblatt hinten am Heck und wenn wir zu langsam sind, ist das Schiff nicht mehr manövrierfähig! Am Steg anlegen ist deshalb so schwierig, weil man mit hoher Geschwindigkeit darauf zufahren muss! Das braucht am Anfang richtig Überwindung. Ein Motorschiff etwa könnte man bei dieser Geschwindigkeit nicht mehr abbremsen! Das braucht Bauch- und Feingefühl ... und mentale Stärke. Die alten Kapitäne sagten stets in der Ausbildung: In den ersten Jahren fährt das Schiff mit dir, erst nach einigen Jahren Erfahrung beginnst du richtig, das Schiff zu fahren.» Kein Wunder, ist die Ausbildung zum Dampfschiffkapitän die Krönung einer Kapitänskarriere. Erst nach sage und schreibe 20 Jahren Berufserfahrung kann man diese Ausbildung machen.
Wieders begann seine Karriere bei der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft (ZSG) vor 28 Jahren als Matrose und arbeitete sich zum Kapitän hoch, von den kleineren zu den grossen Schiffen. Seit 2013 ist er Dampfschiffkapitän und seit 2016 Chefkapitän auf dem Zürichsee. Noch heute fährt er alle Schiffe der ZSG bis zum kleinen Limmatboot. Aber auf dem Dampfschiff herrsche schon eine spezielle Atmosphäre, meint er. «Man ist aufeinander angewiesen und es ist eine besondere Zusammenarbeit. Einen Dampfer fahren ist noch richtiges Handwerk, Nautik pur!»
Endlich statten wir auch dem Maschinenraum, dem Herzstück des Dampfers, einen Besuch ab. Heiss ist es dort unten und laut wegen der arbeitenden Maschinen. Die beiden Maschinisten sind wahre Meister ihres Fachs. Sie kennen jede Schraube der Dampfmaschine, denn den Winter über arbeiten sie in der Werft an der Wartung der Maschine und führen die nötigen Reparaturen selbst aus.
Auch für Verpflegung ist auf dem Schiff bestens gesorgt: Oben im Restaurant werden frischer Salat und Fischknusperli serviert. Nach dem Kaffee steigen wir wieder hoch in den Steuerstand. Den Blick immer aufmerksam aufs Wasser gerichtet, um Hindernisse frühzeitig zu erkennen, erzählt Wieders Anekdoten aus seinem Berufsalltag und teilt sein Wissen mit uns. Die Zeit vergeht wie im Flug – und trotzdem fühlt man sich tiefenentspannt, wenn man Stunden später wieder in Zürich ankommt – als wäre man weit weg gewesen.·
Information
Schon als kleiner Junge war er stets am Wasser anzutreffen. Heute ist Pascal Wieders Chefkapitän auf dem Zürichsee und verantwortet die Ausbildung und Prüfung der Kapitäne. 95 Prozent der anfallenden Arbeiten an den Schiffen, von Instandhaltung bis hin zu Umbauten, werden von den eigenen Leuten gemacht, die im Winter die Uniform gegen ein Arbeitsgewand tauschen. Das ganze technische Wissen wird betriebsintern weitergegeben. Jüngere lernen von einem Paten, der sie durch die Ausbildung begleitet.
Informationen zu ZSG, Rundfahrten, Fahrplänen und weiteren Angeboten unter: zsg.ch.
Text: Sabina Diethelm
Photos: Andreas Leemann