«Es gibt viele Gänsehautmomente im Behindertensport»

Als Maître de Cabin ist Mathias Dolderer in der ganzen Welt unterwegs. Für sein Ehrenamt reist der 51-Jährige bald nach Italien. Dort trainiert er die deutsche Skimannschaft an den Special Olympics Winterspielen. Uns erklärt der Trainer, wieso dieser Wettkampf besser ist, als die olympischen Winterspiele.

«Ich kümmere mich gerne um Menschen», sagt Mathias Dolderer. Mathias ist 51 Jahre alt und gebürtig aus Deutschland. Wenn der grosse Mann mit Bart und Brille etwas macht, dann müsse es ihm Spass machen, sagt er. Es müsse menschlich sein, persönlich und Emotionen brauche es auch. Diese Grundeinstellung war es, die Mathias im Alter von 24 Jahren zum Fliegen brachte.

Fast drei Jahrzehnte ist es her, seit er sich der Aviatik verschrieben hat. «1998 habe ich bei der Eurowings als Cabin Crew Member angefangen.» Zehn Jahre lang flog er für das Unternehmen, sorgte für die Sicherheit der Passagiere an Bord und verpflegte sie. Dolderer arbeitete sich hoch und wurde zum Maître de Cabin.  Doch irgendwann kam dieser eine Moment, in dem der Deutsche wusste, dass er weiterziehen möchte. Mathias, der in Klettgau im Landkreis Waldshut wohnt, bekam mit, dass die SWISS Maître de Cabin auf der Kurzstrecke suchte. Er bewarb sich – mit Erfolg.

Mathias Dolderer ist Maître de Cabine bei SWISS.
Mathias Dolderer ist Maître de Cabine bei SWISS.

Wer diese Geschichte hört, fragt sich schnell: Von einer Fluggesellschaft zur anderen. Ist das nicht sehr ähnlich? Die Antwort des Maître de Cabin folgt schnell und bestimmt. «Nein», sagt er und ergänzt: «Natürlich ist fliegen überall ähnlich. Aber der Unterschied macht für mich die Mentalität und Philosophie der SWISS.» Er habe eine andere Perspektive gesucht. Bei der Eurowings habe er dazumal den Punkt erreicht, an dem  eben diese Perspektiven nicht mehr gegeben waren. «Bei SWISS bin ich viel breiter aufgestellt, ich habe mehr Möglichkeiten.» Das zeigt auch sein Werdegang. Bei SWISS flog Dolderer sowohl Kurz- als auch Langstrecke. Für einige Jahre verschlug es ihn sogar an den SWISS Hauptsitz in Kloten, wo er für die Fluggesellschaft im Operational Flight Support arbeitete. «Bei SWISS habe ich die Möglichkeit zu fliegen, Trainings zu geben oder im Büro zu arbeiten. Ich kann mich immer wieder verändern», fasst er zusammen.

 

Der Maître de Cabin ist auch ein Weltmeister 

Doch Mathias fliegt nicht nur gerne. Im Winter ist er regelmässig auf den Skiern anzutreffen und das teilweise auf der ganzen Welt. Der 51-jährige ist seit Jahrzehnten Mitglied beim IASF, dem internationalen Skiverband für Fluggesellschaften. Zeitweise war er Vorstandsmitglied und Präsident. Jährlich gibt es Meisterschaften an denen Skiteams von Airlines aus der ganzen Welt teilnehmen. Mit dem SWISS Snowteam gewann Mathias gar einmal die Weltmeisterschaft. Das ihn dieses Hobby zu einer neuen Passion leiten würde, war für den Maître de Cabin lange nicht klar. Damit das passieren konnte, brauchte es zuerst eine Liebesgeschichte.

«Ich habe 2017 ein zweites Mal geheiratet», erzählt er. Mit der Heirat trat Mathias' Schwager in sein Leben. Der heute 43-Jährige ist vom Down-Syndrom betroffen. «Früher war er Radfahrer, später wandte er sich dem Schwimmen zu.» Es kam der Tag, an dem der Schwager einen Wettkampf hatte. «Meine Frau fragte mich, ob ich sie an den Wettkampf begleite.» Er sei von dem Vorschlag nicht sofort begeistert gewesen, gibt er unumwunden zu. «Ich konnte mir nichts darunter vorstellen. Ich bin nur meiner Frau zuliebe mit.»

Athletin Sabrina Schneider mit Fussballer Thomas Müller.
Athletin Sabrina Schneider mit Fussballer Thomas Müller.

Was folgte war ein Feuerwerk der Emotionen, die auch heute noch nachwirken, wenn Mathias erzählt. «Wenn man so einen Wettkampf einmal gesehen hat. Dann haut es einem um.» Die Schwimmhalle sei an diesem Nachmittag restlos voll gewesen, erzählt er. «Die Stimmung war fantastisch.» Eine Erinnerung ist ihm ganz besonders geblieben: «Ein Mädchen wurde mit dem Rollstuhl zum Start gebracht. Als es das Rennen startete, haben Helfende sie reingekippt.» Er sei ihm ersten Moment erschrocken. «Meine Frau lachte und meinte, ich solle mich beruhigen. Sie wusste schon was kommt, weil sie zuvor schon einmal dabei war.» Die Athletin habe für die 25 Meter Strecke lange gebraucht. Aber: «Während der ganzen Zeit wurde sie angefeuert, die Halle bebte, die Stimmung war wie elektrisiert.» Die Idee solcher Anlässe sei es, Menschen mit Behinderungen vom Rand der Gesellschaft in die Mitte zu holen. «Das funktioniert.»

 

Athlet:innen messen sich bei den Special Olympics in acht Disziplinen

Heute ist Mathias Dolderer bei Wettkämpfen nicht mehr nur Zuschauer. Er ist Skitrainer der deutschen Ski Nationalmannschaft der Special Olympics. Im März fliegt er mit der deutschen Delegation nach Italien zum Wettkampf. Vom 8. bis am 15. März messen sich 1500 Athlet:innen aus 102 Ländern in acht verschiedenen Disziplinen. Darunter Alpines Skifahren, Snowboard, Langlauf, Tanzsport, und Eiskunstlauf.

«Es ist wie bei den olympischen Spielen- nur kleiner», sagt Mathias und fügt mit einem Lächeln an: «Ich würde sie fast als besser bezeichnen. Der Leistungswille der Athlet:innen ist pur, unverstellt und ohne Berechnung.» In jeder Sportart gibt es mehrere Kategorien um den Schwächen und Stärken der Teilnehmenden zu entsprechen und ein möglichst faires System zu schaffen. Eingeteilt wird nach einer Qualifikation. «Der Sport bringt den Athlet:innen so viele Vorteile», erklärt der 51-Jährige. «Nicht nur körperlich, sondern auch für den Geist und die Sozialkompetenz.» Die grösste Herausforderung für ihn als Trainer? «Jede und jeden einzeln zu betrachten und entsprechend zu fördern.»

"Am meisten beeindruckt mich die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und die ehrliche entgegenbrachte Freude. Unsere Athlet:innen sind authentisch und greifbar. Herzlich und ehrlich."

Mathias Dolderer

Dass diese Förderung möglich ist, ist hauptsächlich Freiwilligenarbeit zu verdanken. «Früher war es häufig der Fall, dass die sportliche Karriere unserer Athlet:innen nach ihrer Schullaufbahn endete, weil es keine weiteren Angebote gab.» Der Vater einer Athletin mit Down-Syndrom gründete deshalb den Förderverein Special Olympics Hochrhein. «Die Mitglieder des Vereins sind heute zwischen 12 und 50 Jahren alt.»

«Ich freue mich auf viele Medaillen»

Beim Förderverein stehen Spass und Freude am Sport im Fokus. Aber auch Ehrgeiz hat Platz. «Wenn ich an die Special Olympics denke, dann freue ich mich auf grossartige Spiele, viele Medaillen und neue Freundschaften», sagt Mathias. Die Medaillen seien aber nicht allen gleich wichtig, fügt er hinzu. «Fabian, einer unserer Athleten, hat an einem Wettkampf zwei Goldmedaillen und zwei Teilnehmerschleifen gewonnen. Zum Abschlussessen trug er aber nur die Schleifen. Sie gefielen ihm einfach besser.»

Die Athlet:innen beim Training im Schnee.
Die Athlet:innen beim Training im Schnee.

Der Spass am Sport und das Vollgas geben, stehe bei vielen Athlet:innen im Vordergrund. «Es ist jeweils so schön sie im Ziel zu begrüssen, wenn sie es geschafft haben und am Strahlen sind», erzählt der Trainer. Für ihn gebe es im Behindertensport unzählige Gänsehautmomente. «Am meisten beeindruckt mich die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und die ehrliche entgegenbrachte Freude. Unsere Athlet:innen sind authentisch und greifbar. Herzlich und ehrlich.»

Wir wünschen Mathias und allen Athlet:innen viel Erfolg an den Special Olympics in Turin! Mehr Informationen zu den Winterspielen findest du hier!