Ein oranges Band, das den noch ziemlich dunklen Morgenhimmel über der Wüste von Arizona um fünf Uhr morgens langsam erhellt, kündigt den baldigen Sonnenaufgang an. Der Tag erwacht – Tagwache war für die Flugschüler:innen in Goodyear schon einige Zeit davor. Denn bereits um vier Uhr trafen sich die ersten zukünftigen Pilot:innen mit ihren Instruktor:innen zum Briefing für die frühmorgendlichen Flüge. Bei den einen stehen Soloflüge an, bei den anderen solche, die von Instruktor:innen begleitet werden.
Insgesamt 75 Cirrus SR20 Flugzeuge stehen auf dem grossen Vorfeld bereit. Dass die ersten bereits um fünf Uhr «ready for departure» sind, hat mit den Temperaturen zu tun – mit 28 Grad ist es um diese Zeit gerade noch angenehm, am Nachmittag wird es bis zu 45 Grad heiss und entsprechend unruhig kann der Flug werden. Aber auch damit lernen die angehenden Pilot:innen, die hier trainieren, umgehen. Die Lufthansa Group-Flugschule European Flight Academy (EFA) führt in Kooperation mit United Aviate Academy (UAA) am traditionsreichen Flugschulcampus in Goodyear, Arizona einen der Ausbildungsabschnitte in der praktischen Ausbildungsphase durch. Stets sind mehrere Klassen parallel vor Ort in der Ausbildung, aktuell auch eine Klasse mit 20 angehenden Pilot:innen , die eine Absichtserklärung unterzeichnet haben, um später bei SWISS oder Edelweiss zu fliegen.
Alle mit dem gleichen Ziel
Einer davon ist der 25-jährige Marvin Meier aus Bad Zurzach, er absolviert heute einen Soloflug. «Solche haben wir nicht so häufig, daher ist das immer ein spezieller Moment», freut sich Marvin. Insgesamt absolvieren er und seine Klassenkolleg:innen in Goodyear knapp 100 Flugstunden in rund viereinhalb Monaten. «Das Ziel ist, dass wir uns hier selbst perfektionieren. Wenn wir mit dem Instruktor fliegen, können wir auch selbst wünschen, was wir machen möchten, an welchen Schwächen zum Beispiel wir arbeiten möchten.» Unter den Flugschüler:innen helfe man sich auch gegenseitig, ein Konkurrenzdenken gebe es nicht. «Wir haben alle das gleiche Ziel. Später im Cockpit eines grossen Flugzeugs sitzen zu dürfen, das ist der gemeinsame Traum von uns allen. Wir haben einen sehr guten Zusammenhalt», sagt der Pilotenanwärter.
Es fühle sich ein wenig an, wie ein nie endendes Klassenlager, sagen die Klassengspänli. «Es gibt hier auch Sportmöglichkeiten, manchmal spielen wir zum Beispiel Tennis», erzählt der 25-jährige Dusan Vlatkovic aus Kloten, «aber um acht Uhr morgens ist es halt bereits 34 Grad.» Da lockt dann vielleicht eher der Sprung in den Pool. Solche Freizeitaktivitäten finden durchaus statt, zumindest an den beiden freien Tagen pro Woche. Doch an den fünf Tagen, an denen geflogen wird, bleibt nicht viel Zeit zum Ausruhen. «Nach dem Flug ist vor dem Flug», sagt die 23-jährige Sarah Morgenthaler, eine von drei Frauen in der Klasse. «Die Vorbereitung mit der ganzen Flugplanung ist intensiv. Der Flug selbst dauert rund zwei bis zweieinhalb Stunden. Vor dem Flug gibt es ein Briefing, nach dem Flug ein Debriefing. Und danach bereitet man bereits wieder den Flug vom nächsten Tag vor.» Naturgemäss ist die Fliegerei denn auch das erste Gesprächsthema beim Zusammensein in der Freizeit. «Aber auch Sport ist immer wieder ein Thema, manchmal schauen wir uns auch gemeinsam Sportsendungen an», so Sarah Morgenthaler.
Frauenanteil leicht steigend
Der Frauenanteil bei SWISS beträgt zurzeit rund fünf Prozent. In den Ausbildungskursen ist die Tendenz leicht steigend. «Je mehr weibliche Vorbilder es gibt, desto motivierender ist dies bestimmt auch für junge Frauen, die sich eine Zukunft als Pilotin vorstellen können», so Sarah Morgenthaler. «Es gibt keinen Grund, sich nicht für einen Ausbildungsplatz zu bewerben, wir Frauen können das genauso gut wie die Männer.»
Sowohl Sarahs heutiger Flug wie auch diejenigen ihrer Kolleg:innen verliefen alle problemlos. Einzig am Ende wurde es für Sarah zeitlich ein wenig knapp, «sie nehmen es hier sehr genau mit der Zeit, wann man das Flugzeug zurückbringen muss. Bei mir gings gerade um zwei Minuten nochmals gut.» Mit jedem Flug den sie erfolgreich absolviert, kommt sie dem Traum näher, dereinst selbst ein Vorbild für zukünftige Pilotinnen zu werden.
Warum viereinhalb Monate Goodyear?
Die Schweizer Klasse mit den angehenden SWISS und Edelweiss Pilotinnen und Piloten absolvierte den ersten Teil der Ausbildung in Grenchen. Phase 3 der VFR Ausbildung (Visual Flight Rules = Fliegen nach Sichtflugregeln), wie auch Phase 4, gleichbedeutend mit dem 1. Teil der IFR Ausbildung (Instrument Flight Rules = Fliegen nach Instrumentenflugregeln), findet dann in den viereinhalb Monaten in Goodyear statt. Doch wieso überhaupt in der Wüste, wenn es da doch so heiss ist im Sommer?
Raymund Obst, Head of Pilot Schools EFA, erklärt die Vorteile des Standorts. «Wir haben hier stets sicheres Flugwetter, das ist ein entscheidender Faktor. Weitere Vorteile sind die Luftraumstruktur, die hier einfacher und weniger restriktiv ist als in Europa, die Höhe, bis zu der man ohne kontrollierten Luftraum fliegen kann ist höher, es hat viele kleine Flugfelder ohne Start- und Landegebühren und es gibt hier sehr viele Fluglehrer:innen.» In den USA stellen die grossen Fluggesellschaften die Pilot:innen häufig erst ein, wenn sie mindestens 1500 Flugstunden haben, diese absolvieren viele daher als Fluglehrer:innen. Auffällig ist hier der hohe Frauenanteil, rund 50% sind Fluglehrerinnen. «Es gibt hier viele Flugbegleiterinnen, die umsteigen. Dies ist in den USA definitiv viel häufiger der Fall als in Europa.» Als möglichen Grund nennt auch er den Vorbildfaktor, zum Beispiel mit den vielen Fluglehrerinnen.
Vorbilder in der Aviatik kann es natürlich aber auch in der Familie geben. Das ist sogar relativ häufig der Fall. Auch bei den Flugschüler:innen hier in Goodyear. Dusan Vlatkovics Mutter und Onkel sind beide Fluglotsen. Er ist in der Nähe des Flughafens Genf aufgewachsen und hat schon als Kind jeden Tag die ankommenden und wegfliegenden Flugzeuge gesehen. Marvin Meiers Vater war Sportpilot und auch er wohnte in der Nähe des Flughafens, im Anflugbereich von Zürich-Kloten. Und auch Sarah Morgenthalers Grossvater hatte die Privatpilotenlizenz. Und hört heute regelmässig über Live ATC den Funk mit, damit er Sarahs Flüge mitverfolgen kann. Die vielen Flüge, die Sarah Morgenthaler und ihre Klassenkamerad:innen dem Traum näherbringen, die berufliche Zukunft im Cockpit eines grossen Flugzeugs zu verbringen.
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Informationen zur Bewerbung und den einzelnen Stufen der Ausbildung findet ihr unter Piloten | SWISS und European Flight Academy.
Text: Silvia Exer-Kuhn / Fotos: Philipp Jacob
Veröffentlicht am: 15. August 2024