Es ist kurz nach sieben. Der Frühstücksraum unseres Hotels wird erst in einer Stunde geöffnet werden. Noch ist keiner am Pool, geschweige denn am Strand. Wir haben die Bucht also ganz für uns allein. Ein breiter Pinselstrich aus blendendem Licht tanzt auf den Wellen, als wir hinausschwimmen. Bis die anderen Gäste auftauchen, werden wir längst oben im Gebirge sein. Oben in der Sierra Bèrnia.
Sierra Bèrnia: Eine Aussicht, die es in sich hat
Kaum zu glauben, wie schnell man hier in der Einsamkeit der Berge angekommen ist. Ein paar Abzweigungen und schon befinden wir uns in einer anderen Welt. Sie duftet nach Rosmarin und Wacholder. Ein schmaler Pfad führt in Richtung der Felswand, die wie die Flanke eines riesigen, weissen Stiers in der Landschaft fläzt. Nach knapp anderthalb Stunden erreichen wir das Loch, für das diese Wanderung bekannt ist. Es führt mitten ins Gestein. Auf Knien rutschen wir durch einen mehr als 20 Meter langen, natürlichen Tunnel, dann öffnet sich der Gang zu einem weiten, efeubewachsenen Tor. Wir sind verblüfft. Nicht wegen der herrlichen Bucht tief unter uns. In ihr sind wir heute morgen geschwommen. Es sind die spitzen Zähne am Horizont, die uns in Aufregung versetzen, die Wolkenkratzer von Benidorm, dem „Little Manhattan“ der Costa Blanca. Im Sommer schwillt die Anwohnerzahl dieses Badeortes von 70.000 auf über eine Millionen an. Ein fremder Planet, der mit dem Zirpen der Insekten hier oben nichts zu tun hat.
Das Hinterland des berühmten Küstenstreifens gehört zu den gebirgigsten Regionen Spaniens. Die Abenteuer, die man hier erleben kann, liegen nur wenige Kilometer von den touristischen Zentren entfernt. Aber auch an der Küste selbst kann man Touren unternehmen, die es in sich haben.
Der kleinste Nationalpark Spaniens
Die zweite Wanderung führt uns zum kleinsten Naturpark Spaniens und beginnt zwischen den Hochhäusern von Calpe. Direkt hinter den Hotels und Appartmenthäusern wächst eine Halbinsel ins Meer hinaus. Sie besteht aus einem einzigen gigantischen Felsbrocken. Der Peñón de Ifach ist 332 Meter hoch und so steil, dass man sich von weitem beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie man auf diesen vom Meer umspülten Gipfel gelangen soll. Des Rätsels Lösung besteht auch hier aus einem Tunnel, der in diesem Fall jedoch von Menschenhand durch die imposante Nordwand gebohrt wurde. Manche Passagen sind mit Seilen und Ketten gesichert, an vielen Stellen ist der Stein speckig, aber wirklich gefährlich ist die Tour nicht. Am Mirador de Carabineros stehen wir fast senkrecht über dem zerknitterten Meer. Im Südwesten reiht sich Klippe and Klippe, Kap an Kap. Wir sind überwältigt.
Erst in jüngster Zeit hat die Region den Wandertourismus für sich entdeckt. Heute gibt es ein grosse Auswahl an kurzen und langen Touren, die in der Regel gut markiert sind. Jedes Jahr kommen neue hinzu.
Auf und ab im Vall de Laguar
Unser dritter Trail ist ein Klassiker. Die Tour im Vall de Laguar wird in den Reiseführern als „Kathedrale der Wanderungen“ bezeichnet. Dabei ist die Kathedrale eher ein Minarett, gekennzeichnet von Tausenden von Stufen, die von den ehemals muslimischen Bewohnern des Tals in den Fels gehauen wurden, um die Bewirtschaftung der terrassierten Felder zu erleichtern. Entlang von Gärten und Feldern, Mandel- und Olivenbäumen, Kakteen und Oleanderbüschen steigen wir hinab in den Canyon. Das Ganze wiederholt sich dreimal. Drei Abstiege, drei Aufstiege. Nach der schattenlosen Tour im Vall de Laguar haben wir uns eine Abkühlung verdient und kraxeln an unserem letzten Wandertag südlich von Dénia über die Klippen zur Cova Tallada. Die schummrige Wassergrotte ist ein beliebter Spot zum Schnorcheln.
Cala Moraig: Pfad zum Glück
Auf der Rückfahrt ins Hotel halten wir noch in einer Bucht, die man uns besonders ans Herz gelegt hat. Der Parkplatz von Cala Moraig ist voll, wir erwischen eine der letzten Lücken. Wir folgen dem Trail, der den Hang hinaufführt. Und plötzlich wissen wir, warum man uns an diesen Ort geschickt hat. Eine gigantische Steinplatte, die im Meeresboden festzustecken scheint, neigt sich uns entgegen. Dann merken wir, dass der Weg hier nicht zu Ende ist. Ein kleiner Pfad quert den Hang. Dornige Pflanzen klammern sich an den Kalk. Ein bisschen haarig das Ganze, aber was soll’s. Die grossen Brocken, die unten im Wasser liegen sehen nach einer schwer erreichbaren, aber umso verführerischen Badestelle aus. Wir steigen ab, wir werfen uns in die Wellen, wir schreien vor Glück. Die Costa Blanca, wir geben es zu, hat zwei Fans mehr.
Publikationsdatum: 06.10.23
Text & Bild: Gero Günther & Peter Neusser