Ein weisses Haus mit Garten, zweistöckig, vermutlich in den 1930er Jahren gebaut. Der Riegel am Tor lässt sich auch von außen problemlos aufschieben, Eingang, Fenster, Terrassentür – alles steht sperrangelweit offen. Zuerst kommt Pinot, ein wuscheliger Lagotto Romagnolo aus dem Haus gelaufen. Es folgen Nilou, 14 Jahre alt, barfuss und in kurzen Hosen und ihre elfjährige Schwester Tahmi blauen Sommerkleidchen. Dann steht Schirin Taraz-Breinholt in der Tür, die Hausherrin und Architektin aus Deutschland. Sie wohnt hier in diesem tropischen Paradies, das keine 20 Fahrminuten von Downtown Singapur entfernt ist.
"Anfangs dachten wir, wir bleiben zwei bis drei Jahre."
Abenteuer Asien
Es war ihr Mann Greg, ein Engländer, den sie während ihres Architekturstudiums an der Zürcher ETH kennengelernt hatte, der 2004 mit dem Singapur-Plan vor ihr stand: Er habe ein Jobangebot, sagte er, ein richtig gutes. Und Singapur – wäre das nicht toll? Sie war damals 31 und noch nie in Asien gewesen: „Ich fand das sehr spannend, natürlich war ich einverstanden“, erinnert sich Schirin. Es sollte ja nicht für immer sein: „Anfangs dachten wir, wir bleiben zwei bis drei Jahre. Dann, bis wir Kinder bekommen. Dann, bis die Kinder in die Schule kommen“. Inzwischen gehen beide Mädchen auf die German European School, die Familie ist gerade vom Stadtzentrum in das Haus am Rand des MacRitchie-Naturreservats umgezogen.
„Ich habe mich hier von Anfang an wohlgefühlt“, sagt Schirin. Die Stadt war zwar aufregend anders – die Gerüche, die Küche, die Menschen, die Natur – aber nicht völlig fremd: „Ich konnte mich gut und sicher bewegen. Der öffentliche Nahverkehr funktioniert, in den Supermärkten gibt es alles, was man braucht, im Park joggen oder irgendwo ein Bier trinken geht völlig problemlos“.
Traumjob
Es war ein glücklicher Zufall, aber wohl auch ihre Ausbildung, ihre Einsatzbereitschaft und ihr fröhliches, aufgeschlossenes Wesen, die ihr einen Job im renommierten Architekturbüro WOHA bescherten. WOHA ist in ganz Asien für progressives grünes Bauen bekannt und passt gut in die Gartenstadt Singapur, die trotz Bauboom immer grüner wird – man denke nur an den aus dem Nichts entstandenen Stadtdschungel Gardens by the Bay. Die Grossraumbüros der rund 100 WOHA-Mitarbeitenden befinden sich mitten in der City in zwei historischen Shop-Häusern mit idyllischer Dachterrasse. Dort und im Lichtschach, der sich durch die sechs Etagen des Gebäudes zieht, wird getestet, welche Pflanzen sich für lichtarme Räume, Terrassen und vertikale Gärten eignen.
Aus den Fenstern ist eines der Vorzeige-Objekte des Büros zu sehen: das spektakuläre 367-Zimmer-Luxushotel Parkroyal Collection Pickering. Pflanzen-Kaskaden fallen von hohen, gewellten Fassaden, auf reisfeldartig gestuften Terrassen wachsen Farne, Palmen, Frangipani-Bäume.
„Für Architekten ist es sehr spannend, in einer Stadt zu leben, die sich so schnell verändert, in der so viel gewollt und umgesetzt wird“, sagt Schirin, „globale Themen wie Dichte, Grossstadt, Weltbevölkerung, Klimawandel sind hier sehr präsent und unmittelbar spürbar. Wir wissen genau, warum wir machen, was wir machen, und weshalb wir so viel Energie in umweltbezogenes, menschenfreundliches Bauen investieren“.
Faszinierende Vielfalt
Mittags geht Schirin gerne zum Thailänder PhoVN ein paar Strassen weiter, setzt sich auf einen der bunten Plastikstühle und bestellt eine Pho-Suppe und frische Sommerrollen. Ihre Töchter lieben die Dumpling-Lokale der taiwanesischen Din Tai Fung-Kette und das iranische Restaurant Shabestan am Fluss.
„Ich erkläre den Mädchen regelmässig, dass es nicht völlig normal ist, tagsüber durch ein Naturreservat zu spazieren und am Abend eine hervorragende Ballettproduktion im Theater an der Esplanade zu sehen“, sagt Schirin, „sie kennen es nicht anders und denken, dass die Möglichkeiten überall so vielfältig sind wie in Singapur“.
Natürlich gibt es regelmässige Heimatbesuche – Schirins aus dem Iran stammender und in Bonn lebender Vater versammelt jedes Jahr die ganze Großfamilie um sich. Sie fährt gerne „nach Hause“, obwohl ihre wirkliche Heimat jetzt anderswo ist. Mit ihren eigenen Multi-Kulti-Wurzeln, dem britischen Ehemann und zwei in Singapur geborenen Töchtern passt sie schliesslich perfekt in diese ethnisch so vielschichtige Stadt. Das Thema Rückkehr ist längst vom Tisch: „Wir gehen zurück, wenn der Winter kommt“, sagt Schirin und lacht. Sie weiß genau: In Singapur kann man lange darauf warten.
Information
The most striking WOHAarchitectural creations in Singapore that are open to the public include the imposing School of the Artswith its vertically stacked concert halls and verdant concrete walls, the red-and-green Oasia Hotel Downtown, which can be seen from all over the city, and the new Design Orchardshopping centre, a temple to fashion on Orchard Road that features a jungle-like roof terrace and café.
Text: Patricia Engelhorn
Fotos: Marvin Zilm
Publiziert am: 04.04.2023