*Leaf Peeping nennt man in den Vereinigten Staaten und Kanada die Aktivität, bei der Menschen reisen, um das Herbstlaub in Gebieten zu sehen und zu fotografieren, in denen sich die Blätter im Herbst verfärben.
Auf der langen Fahrt von Toronto haben wir die Niagarafälle, die Finger Lakes und auch die Adirondacks links und rechts liegen gelassen. Wir wollten nur eines: direkt hinein in das herbstliche Farbenspektakel New Englands. Nach langer Fahrt erreichen wir unser erstes Ziel im Süden Vermonts. In der kühlen Abendluft liegt der Duft nach Feuerholz und feuchtem Laub. Auf dem Weg zur Rezeption der Hill Farm fallen uns die Ahornblätter auf den Kopf. In der Dunkelheit strahlt das 200-jährige Anwesen seine wohlige Wärme weit in die Nacht hinaus. Die ehemalige Milchfarm im Equinox Mountain Valley ist heute ein Gasthaus für New England-Reisende. Mit eigener Gemüsefarm und hochstehend regionaler Küche.
Nach einer ruhigen Nacht im Cottage machen wir uns noch vor dem Morgenessen auf, die Umgebung zu erkunden. Nebelschwaden schmiegen sich in die farbigen Baumkronen. Der Weg hinunter zum Battenkill River ist gesäumt von dichtem Buschwerk. Und irgendetwas raschelt im Gebüsch.
What happens here, stays here. But nothing ever really happens
Vermont gibt sich selbstironisch. Tatsächlich ist der kleine US-Bundesstaat in den grünen Bergen nicht gerade der Ort, wo der (Schwarz)Bär steppt. Aber ebendieser kann schon am frühen Morgen für Adrenalinschübe sorgen. Auch wenn er sich nur an Blaubeeren gütlich tut. Nach dieser frühmorgendlichen Begegnung treten wir den Rückweg an. Das Frühstück wartet. Und der Equinox Skyline Drive lockt.

In steilen Kurven windet sich die Strasse den Berg hinauf und verläuft dann über einen Grat bis zum Aussichtspunkt, wo einem Vermont zu Füssen liegt. Obwohl das Wetter hier oben nicht wirklich mitspielt, eröffnen sich immer wieder atemberaubende Aussichten ins bunte Herz des Herbstes.
Runter vom Berg geht es auf kurvigen Nebenstrassen an Bächen und Flüssen entlang durch die leuchtenden Laubwälder des Bennington Countys. Ab und zu ragt ein weisser Kirchturm über die rotgoldenen Baumkronen hinaus. Dann stehen wir vor einem weiteren historischen Wahrzeichen Vermonts. Mehr als 100 gedeckte Brücken wurden hier von Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut.
Wetter ist, was man draus macht
Regen ist im Anzug, der Blick auf die Farbenpracht vernebelt. Wir machen das Beste daraus und suchen die Farben nicht länger in den Wäldern, sondern in kulturellen Einrichtungen. Im Southern Vermont Arts Center erhalten wir einen Einblick ins lokale Kunstschaffen. Das Kunstzentrum, das vor über 50 Jahren von einer Gruppe lokaler Künstler gegründet wurde, umfasst ein wunderschönes georgianisches Herrenhaus mit wechselnden Ausstellungen, den Arkell Pavillion, ein Zentrum für darstellende Künste, und das Elizabeth de C. WilsonMuseum, in dem die ständige Sammlung des Zentrums mit mehr als 700 Gemälden untergebracht ist. Auf dem 100-Hektar grossen Campus am Fusse der Taconic Mountains stehen beeindruckende Skulpturen, die fürs entgangene leaf peeping in denWäldern entschädigen.
Ein Gemischtwarenladen als Kulturdenkmal
Was heute Shopping Malls sind, waren früher die Gemischtwarenläden. Der Vermont Country Store in Weston wurde 1946 von der Familie Orton eröffnet und hat sich bis heute nur dahingehend verändert, als dass er sich zu einem wahren Pilgerort entwickelt hat. Auch die 4. und 5. Generation der Ortons hält sich an die altmodischen Werte ihres Vaters und Grossvaters und ist stolz darauf, in ihrem Store praktische und schwer zu findende Produkte aus aller Welt anzubieten.
Die nächste Nacht verbringen wir in einem Skiresort in den Okemo Mountains. Schliesslich ist Vermont nicht nur bei Leaf Peepers, sondern auch bei Wintersportlern äusserst beliebt. Und weil hier ganz in der Nähe die ersten Burton Snowboards erfunden und gebaut wurden, passt das auch, finden wir.

Welcome to New Hampshire
Von den Green Mountains geht es am nächsten Tag in die White Mountains – der Weg führt uns von Vermont nach New Hampshire. Wieder über weite Strecken von Regen begleitet, gönnen wir uns zum Lunch im Littleton Freehouse Taproom einen New England Clam Chowder und danach den Crisby Cobb Salad, bevor es auf der Interstate 93 weiter geht zum Franconia Notch State Park.
Endlich sehen wir wieder etwas Farbe. Wie ein riesiger bunter Teppich breiten sich in den White Mountains die herbstlich eingefärbten Wälder aus. Dass das Wetterglück einigermassen auf unserer Seite ist, nehmen wir mit Freude zur Kenntnis. In Sachen Timing landen wir nämlich einen Volltreffer – wir erleben an diesem Tag den Foliage-Peak – also den absoluten Höhepunkt der Laubfärbung. Was heisst, dass der Herbst langsam, aber sicher dem Winter weicht.
Krönender Abschluss – Herbsterwachen in Boston
Den ereignisreichen Tag beenden wir in Concord, der Hauptstadt New Hampshires. Morgen geht es weiter nach Boston. Diese Stadt ist immer eine Reise wert. Besonders im Herbst. Denn auch in der Stadt werden die Luft frischer und die Farben bunter. Im Boston Harbor Hotel am Rowe's Wharf werden wir mit einem Picknickkorb von der High Street Place Food Hall empfangen. Das Picknick geniessen wir am Harborwalk an der Waterfront.
Und dann ab ins Wasser. Oder besser gesagt ins Kajak. Vom Kendall Square aus paddeln wir durch das Herz von Boston und Cambridge und geniessen den phänomenalen Blick auf die Skyline von Boston und die Esplanade sowie auf andere nahegelegene Sehenswürdigkeiten wie die Zakim Bridge, das M.I.T., das Museum of Science und die Boston University.
Am Nachmittag spazieren wir bei schönstem Wetter durch den Boston Common, hinauf zum Beacon Hill und wieder hinunter zur Newbury Street, die an diesem Sonntag für den Verkehr gesperrt ist. Kilometer um Kilometer schlendern wir vorbei an den High End-Fashion-Stores. Restaurants und Bars haben herausgetischt. Wir tauchen ein ins sonntägliche Vergnügen und geniessen mit Einheimischen und Touristen die lockere Atmosphäre und die Darbietungen von Strassenkünstler:innen und -musikant:innen.
Ausklingen lassen wir den prächtigen Herbsttag im Isabella Stewart Gardner Museum. Die Namensgeberin war so reich wie extravagant und hat sich ihr eigenes Museum nach dem Vorbild eines venezianischen Palazzo bauen lassen.
Zum Abschluss unseres Roadtrips geniessen wir am Sonntagabend im geschichtsträchtigen Smith&Wollenski Steakhouse mit atemberaubender Aussicht auf den Hafen von Boston ein letztes Dinner.