Der «White Turf» ist ein einzigartiges Spektakel: Hier messen sich die Pferde und ihre Jockeys nicht wie sonst üblich auf Sand oder Gras, sondern mitten auf dem gefrorenen St. Moritzersee. Seit mehr als einem Jahrhundert sorgt das traditionelle Pferderennen jeweils an drei Wochenenden im Februar für ein Erlebnis im Schnee und vereint die Engadiner Bevölkerung mit dem internationalen Jetset.
Zum White Turf gehören Champagner, teure Uhren und Austern genauso wie Bratwurst, Wanderschuhe und ein Bier aus dem Becher. Was ist der White Turf also, Glamour-Schaulaufen oder Volksfest? Die Organisatoren sind überzeugt: beides.
1907 zum ersten Mal durchgeführt, blickt der «White Turf» auf eine bereits 117-jährige Geschichte zurück und ist damit ein fester Bestandteil der Engadiner Identität. 1906, ein Jahr vor der ersten Durchführung, erfanden britische Wintertouristen in St. Moritz nach den Sportarten Bob und Skeleton auch das «Skikjöring» – eine Rennvariante, bei der die Reiter nicht auf ihrem Pferd reiten, sondern auf Ski von diesem gezogen werden. Diese waghalsige Disziplin ist am White Turf mitunter die Hauptattraktion und sorgt jedes Jahr für spannende Momente und spektakuläre Bilder. Das Skikjöring ist weltweit einzigartig: Diese Sportart gibt es in diesem Rahmen nur in St. Moritz am White Turf.
Thomas Walther ist Vorstandspräsident des White Turf und trägt für den Anlass seit 2016 die Verantwortung. Der Familienunternehmer führt in Pontresina mehrere Hotels in vierter Generation und legt Wert auf ein durchmischtes Publikum: «St. Moritz hat viel ‹Bling Bling› und Glamour, das gehört einfach dazu und ist auch gut so. Aber am White Turf ist jeder willkommen», sagt er überzeugt.
«Einen Platz auf der Tribüne gibt es bereits ab 25 Franken und Kinder bis 16 Jahre sind gratis», führt Thomas Walther aus. «Am White Turf hat es viele VIPs, und trotzdem kann sich jede Familie den Eintritt leisten. Das ist für uns sehr wichtig.» Dazu passend fanden dieses Jahr zum zweiten Mal die «Family Days» statt. An diesen Tagen zeigen die jungen Nachwuchsjockeys aus der Region ihr Können – und der Eintritt ist für alle gratis.
Damit auf dem gefrorenen See ein Pferderennen durchgeführt und die Verpflegung für Tausende von Zuschauern frisch zubereitet werden kann, braucht es einiges an Infrastruktur. Diese wird jeweils innert neun Tagen aufgebaut. «Wir stehen hier auf einer gerade mal 44 Meter dicken Schicht gefrorenem Wasser», schwärmt Thomas Walther. «So etwas kann man für kein Geld der Welt nachbauen.»
«Es gibt unzählige Pferderennen auf der Welt – aber nur drei auf einem gefrorenen See», merkt Walther an. Ebenfalls einzigartig ist das Preisgeld: Mit insgesamt rund 400’000.- Franken über alle Kategorien hinweg winkt am White Turf die im Schweizer Pferderennsport höchste Gewinnsumme.
Annina Widmer ist seit 2018 Head of Race und nahm früher als Jockey selbst am White Turf teil. Die Tierärztin kümmert sich vor, während und nach dem Rennen um das Wohl der Pferde und überprüft laufend die Beschaffenheit der Rennbahn. «Der Schnee verändert sich je nach Wetter von Stunde zu Stunde», sagt sie. «Damit die Gelenke der Pferde genügend abgefedert werden, braucht es mindestens etwa 15 Zentimeter. Die Sonne hat einen grossen Einfluss und die Bedingungen können sich mit den Temperaturen schnell ändern – das macht es für die Jockeys sehr spannend.»
Damit die sicheren Rennbedingungen für die Pferde und ihre Reiterinnen und Reiter zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sind, sind Annina Widmer und weitere Tierärzte im Dauereinsatz. Für die Pferde spiele der Schnee an sich aber keine grosse Rolle: «Der Muskelapparat wird im Schnee zwar etwas mehr beansprucht, von der Bewegung her ist es für die Tiere aber kein grosser Unterscheid zu einer Grasbahn.»
Nebst zahlreichen angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind am «White Turf» auch rund 200 freiwillige Helfer im Einsatz, die sogenannten «Voluntari». Aus Freude helfen sie für eine Bratwurst und ein kleines Sackgeld mit und sind für den Event eine unverzichtbare Stütze.
Einer davon ist Roman Marti, Langstreckenpilot bei SWISS und aufgewachsen in St. Moritz. Seit rund 30 Jahren packt er am White Turf mit an und übernahm letztes Jahr die Leitung der freiwilligen Helfer. «Früher habe ich hier an der Kasse Tickets verkauft», sagt er. «Der White Turf ist für mich ein Heimspiel. Ich bin nur ein paar Minuten vom See aufgewachsen, ging hier zur Schule und verbringe auch heute noch gerne Zeit in St. Moritz. Auf die Renntage freue ich mich jedes Jahr aufs Neue – und vor allem darauf, all die Menschen wiederzusehen, die dem Anlass über so lange Zeit ihre Treue halten.»
Text: SWISS Magazine
Fotos: White Turf
Publikationsdatum: 22.03.23