Carl, was war die Idee hinter dem Design des neuen Schweizer Passes?
Mit dem Design wollten wir neu definieren, wie ein Schweizer Dokument im 21. Jahrhundert auszusehen hat. Denn das Design der Pässe wirkt oft veraltet, obwohl die Technologien, mit denen diese Dokumente hergestellt werden, äusserst innovativ sind.
Deshalb haben wir eine visuelle Erzählung rund um das Design entwickelt. Wir haben Sicherheitsmerkmale integriert, die nicht nur schwer zu fälschen sind, sondern auch eine Rolle in der Erzählung spielen. Der Pass soll Emotionen wecken und seine:n Inhaber:in für die nächsten 15 Jahre stolz machen!
Was macht den neuen Schweizer Pass typisch schweizerisch?
Wir haben intensiv die Schweizer Landschaft studiert und das Wasser spielt hier eine wichtige Rolle. Die Schweiz wird oft als der Wasserschloss Europas bezeichnet, weil es diese kostbare Ressource in der Schweiz im Überfluss gibt. Auf einer symbolischen Ebene steht Wasser für Leben und Bewegung, seine Fliessfähigkeit ruft Interaktionen und Austausch hervor. Nach und nach haben wir diese imaginäre Reise entlang der Wasserläufe konzipiert. Sie führt von den Alpengipfeln hinunter in die Täler, durch die 26 Kantone und hinaus in die Welt. Der Pass soll zum Reisen einladen.
«Wir haben eine imaginäre Reise entlang der Wasserläufe entworfen. Von den Alpen, durch die Kantone und hinaus in die Welt.»
RETINAA
Woher kam die Inspiration für das Design?
Zu Beginn des Projekts haben wir eine gründliche Bildrecherche durchgeführt und eine digitale Bibliothek aufgebaut, die Alpenstiche aus der Renaissance, Landschaftsgemälde des 18. Jahrhunderts, Mineralogie bis hin zu zeitgenössischem Design umfasst. Wir waren auch fasziniert von der Schweizer Kartografie und insbesondere von der Arbeit des Kartografen Eduard Imhof.
Im Laufe des Projekts haben wir diese Bilddatenbank erweitert und verfeinert und uns immer wieder von ihr inspirieren lassen. Um die Topografie der Schweiz besser zu verstehen, haben wir auch mit dem Bundesamt für Landestopografie swisstopo zusammengearbeitet, was uns den Zugang zu erstaunlich detaillierten Geodaten ermöglichte. Die erste amtliche Karte von 1838, die Dufourkarte, war eine Pionierleistung!
Welches sind die versteckten Merkmale, von denen die Leute vielleicht nichts wissen?
Viele Designmerkmale werden erst unter UV-Licht sichtbar. Der UV-Druck fügt eine neue Informationsebene hinzu und unterstreicht die Erzählung. Betrachtet man die Innenseiten unter UV-Licht ansieht, werden Konturlinien sichtbar. Sie zeigen die Topografie der Landschaften und die architektonischen Wahrzeichen der einzelnen Kantone, aber auch das reiche kulturelle Erbe und die Geschichte unseres Landes.
Auch der Einband des Reisepasses ist mit UV-Druck versehen. Wenn die Pässe nebeneinandergelegt werden, verbinden sie sich und bilden ein durchgehendes Muster. Symbolisch gesprochen besitzt jede:r Bürger:in ein Stück der Schweizer Identität und alle diese Teile fügen sich zu einer Nation zusammen.
Was überprüfen die Grenzbeamten normalerweise, um sicherzustellen, dass ein Pass nicht gefälscht ist?
Es gibt viele überprüfbare Sicherheitsmerkmale, aber im Allgemeinen wird die Seite mit den Personaldaten am meisten kontrolliert. Sie erfordert das höchste Mass an Sicherheit, weil sie das Foto und die persönlichen Daten seine:r Besitzer:in enthält. Was das Design angeht, war diese Seite eine der grössten Herausforderungen. Unser Ziel war es, ein nahtloses Design zwischen der Datenseite und der ersten Papierseite zu schaffen, wie eine vertikale Schnittstelle.
Sind diese Sicherheitsmassnahmen Standard für alle Pässe?
Die Sicherheitsmerkmale variieren von einem Land zum anderen. Alle Reisedokumente müssen jedoch den Spezifikationen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) in Bezug auf die Maschinenlesbarkeit entsprechen. Das bedeutet für uns, dass wir innerhalb der engen Produktionsvorgaben kreative Lösungen finden müssen.
Auf welche Seiten und Merkmale des Passes bist du besonders stolz?
Es gibt viele Merkmale, die wir lieben, denn hinter jedem Designelement steckt eine kleine Geschichte. Zum Beispiel das Wasserzeichen aus Quarzkristall, das im weissen Teil des Schweizer Kreuzes zu sehen ist, wenn man die Seiten gegen das Licht hält. Wir haben den Quarz komplett in 3D konstruiert. Er ist eine Anspielung auf den von Fritz Gottschalk und Jenny Leibundgut gestalteten Reisepass von 1985, der in der Mitte aller Visaseiten einen stilisierten Quarz enthielt. Im neuen Pass haben wir den Kristall im Papier versteckt, genau wie das Mineral in seiner natürlichen Umgebung. Es war uns wichtig, eine visuelle Verbindung zu den früheren Pässen herzustellen, die vielen Schweizer:innen noch in Erinnerung sind.
Benutzt du deinen Pass regelmässig und reist du gerne?
Auf jeden Fall, ich liebe es. Mein Vater war ein Vielflieger auf Geschäftsreisen und flog nur mit SWISS! Mein Bruder und ich hatten als Kinder die Gelegenheit, viel zu reisen, das hat uns die Augen geöffnet.
Welche Worte kommen dir in den Sinn, wenn du an SWISS denkst?
Ich denke an Effizienz, das SWISS «Schöggeli» und Schweizer Typografie! Das SWISS Logo ist definitiv eines der besten Airline-Logos überhaupt.
«Das SWISS-Logo ist eines der besten Airline-Logos.»
Du bist in England aufgewachsen. Was ist typisch schweizerisch an dir?
Ich habe eine grosse Leidenschaft für Innovationen und bin ein Perfektionist. In meinem Job strebe ich danach, die Grenzen des technisch Machbaren zu erweitern, um einzigartige Produkte zu schaffen. In vielerlei Hinsicht ähnelt unser Ansatz dem der Uhrmacherei. Interessanterweise gibt es tiefe historische Verbindungen zwischen der Uhrmacherei und der Sicherheitsdruckindustrie in der Schweiz.
Vielen Dank, Carl, für das spannende Interview.
Interview: Tanja Fegble, SWISS Magazine
Fotos: RETINAA
Veröffentlicht am: 29.06.23
Information
RETINAA ist ein in Genf ansässiges Kreativstudio, das von den Designern Carl Guilhon und Guillaume Peitrequin gegründet wurde und sich auf die Gestaltung von Sicherheitsdokumenten und Fälschungsschutzlösungen spezialisiert hat. Im Jahr 2017 wurden sie beauftragt, in enger Zusammenarbeit mit einer Expertengruppe unter der Leitung des Bundesamts für Polizei (fedpol) und in Kooperation mit Thales und Orell Füssli den neuen Schweizer Pass zu gestalten.